Einfach ein gutes Leben
unserem Alltag nicht, umso weniger, als wir die Ergebnisse handwerklichen Tuns ja auch genauso gut kaufen können. Sind wir außer »Analphabeten der Selbstorganisation«, wie Kenneth Anders sagte, auch »Analphabeten des Selbermachens« geworden?
Der Philosoph Klaus Michael Meyer-Abich sieht den Grund in unserer falschen Vorstellung von Mühelosigkeit. »Mit den Händen arbeiten, das wäre eine Mühsal, die die Mühe wert ist. Ich meine nicht die Mühsal der bloßen Plackerei. Wir haben mit der körperlichen Mühsal zu viel abgeschafft. Die Menschen sind ja erstaunlicherweise trotzdem noch müde von ihrer Arbeit im Büro. Für die meisten – die ja auch nicht ihre hauptsächliche Stärke im Kopf haben – wäre es besser, sich viel mehr zu bewegen, körperlich zu arbeiten, im Leib sich selbst zu finden. Aber dafür haben wir die falsche Wirtschaft.«
Richard Christian will »eingreifen«. Er will nicht arbeiten, ohne etwas unter den Händen zu haben – jedenfalls nicht ausschließlich – ebenso wenig wie die vielen anderen, mit denen er die offenen Werkstätten teilt. Im »Haus der Eigenarbeit« (HEi) haben sie einen Platz für sich gefunden, einen Ort, an dem sie in ihrem Wunsch bestärkt werden, mehr selbst zu machen. In direkter Nähe zum Orleansplatz im Stadtteil Haidhausen gelegen, ist das HEi für alle Münchener gut zu erreichen. Das Publikum kommt, der Bedarf nach Eigenarbeit ist offenbar groß, und das HEi hat viel zu bieten. Neben der Metallwerkstatt stellt es Material und Werkzeuge für sieben weitere Gewerke zur Verfügung: Holz, Schmuck, Feinmechanik, Buchbinden/Papier, Textil, Polstern und Keramik. Daneben gibt es einen Bereich »Gesund und kreativ« mit gemischten Angeboten sowie Ausstellungen mit Kunstwerken und Designstücken, die vor Ort entstanden sind. Jeder, der in einem der Bereiche an einem bestimmten Projekt arbeiten möchte, dem zu Hause aber die Möglichkeiten fehlen und der vielleicht noch keine entsprechenden Fertigkeiten hat, kann im HEi alles materiell Notwendige finden und bekommt dazu noch Anleitung und Unterstützung. Sei es, dass eine Kundin einen Stuhl flechten, etwas über Elektrodenschweißen und Oberflächenbehandlung wissen, Tonschmuck herstellen, eine Hose ändern oder Laminat verlegen lernen möchte, sie ist in jedem Fall am richtigen Ort (zu all diesen Themen werden sogar Kurse angeboten).
»Eigenarbeit heißt: Die Leute bestimmen selber, wann und was sie arbeiten. Gut, es könnte schon mal sein, dass eine Ehefrau dahinter steht, aber sonst …«, lacht die Leiterin des HEi, Elisabeth Redler, und wird sofort wieder ernst. »Wir stellen die Ressourcen zur Verfügung und ermutigen zum selbstbestimmten Tun als Alternative zum fremdbestimmten Tun, das wir in der Regel in der Erwerbsarbeit vorfinden.«
Das HEi versteht sich jedoch nicht in erster Linie als einOrt, an dem ein Ersatz für die Erwerbsarbeit geschaffen werden soll. Den könnte man hier auch gar nicht leisten. Erwerbseinkommen durch die selbst hergestellten Gegenstände zu ersetzen ist ein nachgeordneter Gedankenschritt. Nach Redlers Verständnis heißt das Gegensatzpaar eher »Eigenarbeit versus Kaufen«. Das entspricht auch den Vorstellungen der Kunden. Viele verschiedene Leute kommen ins HEi, die allermeisten teilen jedoch den Antrieb, einen Gegenstand für den alltäglichen Gebrauch mit den eigenen Händen herstellen zu wollen, statt ihn bei IKEA oder Karstadt aus dem Regal zu ziehen. Was sie hier in der Wörthstraße bekommen, können sie sich an keinem anderen Ort erwerben: ein ganz einzigartiges Stück. Und mehr noch – eines, von dem sie sagen können: Das habe ich selbst gemacht!
Genau wie bei den neuen Selbstversorgern spielt für die Eigenarbeiter das Selbstgemachte die erste Geige. Genau wie diese müssen auch jene sich erst »selbst ausprobieren«, schauen, wie sie mit der neuen Rolle als Teilzeit- oder Gelegenheitsproduzent von Gütern des alltäglichen Bedarfs zurechtkommen, die sie in der Regel im bisherigen Leben noch nicht gespielt haben. Natürlich kann nicht gleich jeder eine Drehbank bedienen oder ein Buch akkurat binden. Aber alle wollen lernen, und viele von denen, die öfter kommen, erwerben einen erstaunlichen Grad an Kunstfertigkeit. »Bei so manch einem steigt der fast bis zu professioneller Qualität«, sagt Josef Schromm, den hier alle vertraulich »Sepp« nennen. Er betreut zusammen mit seiner Kollegin Monika Haberl die Buchbinde- und Papierwerkstatt. Die Qualität weiß er wie
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