Einfach ein gutes Leben
zur Natur – was auch immer es im Einzelnen sein mag. In diesem Sinn leben Selbstversorger im Luxus.
Darin liegt etwas Absurdes. Gerade die marktwirtschaftlich erzeugte Warenvielfalt sollte uns doch den Luxus schenken, sogar bis ins Unendliche steigern können. Tatsächlich tut sie das in einem eingeschränkten Verständnis auch. Der Wohlstand an den unterschiedlichsten Waren und Dienstleistungen ist – rechnet man alle Güter zu einer Gesamtmenge zusammen – nie größer gewesen als jetzt. Aber damit hat es sich eben auch schon. Das gute Leben erschöpft sich bei Weitem nicht darin, eine beliebige Menge Güter haben zu können. Wohlstand, zu dem nur das zählt, das man zählen kann, ist ein Widerspruch in sich: ein beschnittener Luxus. Wir haben zu viel von dem einen und zu wenig von allem anderen.
Dennoch halten nach wie vor die meisten Menschen in den sogenannten entwickelten Ländern den Weg zur Kasse für den Weg zum Glück. Das gute Leben selbst scheint für uns konsumierbar geworden zu sein: Ein Griff zur EC-Karte, und wir halten es in der Hand. Tatsächlich aber entfernen wir uns damit von der Selbstbestimmung und können auf diese Weise kein gutes Leben erreichen. »Wer die Realisierung seiner Wunschwelt durch den Konsum materieller Glücksgüter anstrebt, bleibt an die Konsummuster gebunden, die eine marktorientierte Produzentenlogik vorschreibt.« 33 Mit anderen Worten: Die Struktur der kapitalistischen Marktwirtschaft hat dann ihre Muster in die Köpfe abgelegt und wird so zum unentrinnbaren Gefängnis.
Die neuen Selbstversorger spüren, dass sie nicht frei sind. Ihr Unbehagen treibt sie raus aus den Gewohnheiten. Sie merken, dass das Marktprinzip, wenn es so praktiziert wird wie in den Industriegesellschaften, sie letztlich dauerhaft und umfassend unter Zwänge setzt. Ihnen fehlt der Spielraum, den die sogenannte »freie Marktwirtschaft« ihnen nur rhetorisch zugesteht. In der Theorie haben alle die gleiche Freiheit, nämlich die Marktfreiheit: zu kaufen und anzubieten, was sie wollen (und können!). Auf dieser Grundlage soll ansonsten jeder das Recht und die Möglichkeiten haben, sein Leben nach seinen Wünschen und Fähigkeiten zu gestalten. Marktfreiheit schafft aber eben nicht schon per se Raum für alle anderen Freiheiten. Es gibt viele unterschiedliche Vorstellungen von einem gelingenden Leben, die wenigsten lassen sich für Menschen erfüllen, die auf eine Konsumentenrolle beschränkt sind, das zeigen die Beispiele der Selbstversorger.
Die große Ironie liegt darin, dass die kapitalistische Produktions- und Verteilungsform von Gütern gar nicht funktionieren könnte ohne Subsistenzproduktion. Vermutlich wird sogar der weitaus größere Teil der globalen Wertschöpfung durch Subsistenzarbeit geleistet (Kapitel 3): durch meistens von Frauen besorgte unbezahlte Hausarbeit, Erziehungsarbeit, Versorgungsarbeit, Ehrenamt, Nachbarschaftshilfe und so weiter. Ohne all diese Leistungen wäre der Arbeit zum Gelderwerb (die letztendlich den Mehrwert erbringt, der den Kapitaleignern zufließt) die Grundlage entzogen, sie könnte nicht erbracht werden. In der klassischen innerfamiliären Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen beispielsweise sind es die Männer, die die Erwerbsarbeit erledigen, sprich das Geld nach Hause bringen. Das könnten sie nicht, wenn ihnen ihre Frauen nicht genau dafür den Rücken frei halten würden durch ihre (unentgeltliche) Arbeit: Essen zubereiten, Haushaltsführung, Kinder erziehen und so fort – oder in klassisch marxistischer Terminologie: Wenn sie keine Reproduktionsarbeit leisten würden. Reproduktionsarbeit aber ist nichts anderes als Subsistenzarbeit. »Subsistenzproduktion ist gewissermaßen das Gegenteil von Warenproduktion und gleichzeitig ihr notwendigster Bestandteil«, weil sie das Warensystem subventioniert, resümiert Christa Müller. 34 Dass es ohne Subsistenzproduktion keine Warenproduktion, ohne Warenproduktion aber sehr wohl Subsistenzproduktion gibt, hat bereits Veronika Bennholdt-Thomsen hervorgehoben.
Dennoch wird Subsistenz heute völlig entwertet. Selbstversorgung gilt als rückständig oder »nicht mehr nötig«. In Deutschland, wo noch vor 50 Jahren die meisten Haushalte in der einen oder anderen Form kleine Produktionsstätten zur Eigenversorgung waren (Gemüsegärten, Beteiligungen an Schlachtungen, kleine Werkstätten im Hof), ist die Subsistenz als ernst zu nehmende Wirtschaftsform komplett aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden.
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