Einfach ein gutes Leben
kaum ein anderer zu beurteilen, als Buchbinder hat er 55 Jahre Berufserfahrung, gibt seit über 30 Jahren Kurse, gut 20 Jahre davon im Haus der Eigenarbeit. Die Kunden, die er in der Papierwerkstatt erlebt, sind meistens Angestellte, die am Computer arbeiten, vier von fünf sind Frauen. Sie besuchen die Werkstatt, weil sie sich zeigen wollen, dass sie noch mit der Hand arbeiten können, hat Schromm beobachtet. »Sich ausprobieren« ist in ihrem Fall also wörtlich zu nehmen, sie testen, wie weit sie kommen können. Am Ende staunen sie über sich: »Das kann ich ja!«, und kommen wieder. Josef Schromm staunt mit und freut sich über jeden Erfolg.
Die Kunden sind stolz auf das, was sie durch Eigenarbeit (er)schaffen. Auch diejenigen, die schon handwerkliche Vorerfahrungen haben, können im HEi ihre Fertigkeiten besser realisieren als anderswo. Das Eigene macht den Unterschied. Das Selbstgemachte hat für die Eigenarbeiter per se mehr Wert als irgendetwas Gekauftes, auch wenn beide Gegenstände ihre Funktion in genau gleichem Maß erfüllen sollten. Aber nicht nur die hergestellten Dinge werden in Wert gesetzt, auch der eigenarbeitende Mensch. Dadurch dass er sein Können kennenlernen, es einsetzen und erweitern kann, lernt er in der Arbeit auch sich selbst neu kennen und erlangt ein neues Selbstwertgefühl. Das Haus der Eigenarbeit versteht den Selbstwert in diesem Sinn als einen Teil der Gesundheit und engagiert sich deshalb dafür, dass seine Kunden »in ihren Fähigkeiten gestärkt und zufrieden nach Hause gehen« 38 . Richard Christian jedenfalls fühlt sich inzwischen, nachdem er alle Details, die ein Hochrad ausmachen, ausgetüftelt hat, mehr als fit dafür, ein ganzes zu bauen. Danach ist aber noch nicht Schluss, sagt er, dann kommt sicher noch ein nächstes dran.
Gestrickte Lebensqualität
Was du auch machst, mach es nicht selbst.
Auch wenn du dir den Weg verstellst.
Was du auch machst, sei bitte schlau.
Meide die Marke Eigenbau.
Tocotronic sind in der deutschen Popmusik selbst so etwas wie eine Marke und können deshalb sicher sein, dass ihr Aufruf »Mach es nicht selbst« gehört wird. 2010 ist der Song auf ihrem Album »Schall und Wahn« erschienen, und wohl spätestens seit diesem Zeitpunkt muss man vom Selbermachen wieder als einem weitläufigen Trend sprechen, denn sobald die Popbranche ein Thema karikiert oder kritisiert, muss es ein »nächstes großes Ding« sein. Selbermachen ist ein aktuelles großes Ding. Nicht bloß Bands wie Tocotronic haben darauf schon reagiert, auch die Nachrichtenmedien ( Spiegel , Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung , Focus 39 ) haben die neue Welle bereits abgedeckt, und das Buch zum Thema ist 2008 erschienen: Holm Friebes und Thomas Ramges Marke Eigenbau . Die Republik hat einen neuen Trend entdeckt.
Leute rennen nicht bloß dem Haus der Eigenarbeit die Türen ein. Sie haben auch längst entdeckt, wie sich zu Hause mit relativ beschränkten Mitteln eine veritable Eigenproduktion organisieren lässt. Näh-, Strick- oder Häkelarbeiten werden aus der staubigen Ecke gezerrt, in der Omas Handarbeitskorb und die alte Adler-Nähmaschine stehen, und als »do it yourself« oder cool »DIY« rehabilitiert. Mehr noch, Handysocken oder lustig-dekorative Tierfiguren stricken gilt als sexy, wer es tut, ist im Trend. Damit lässt sich sogar Geld verdienen: Ein Blick auf die Artikelliste in DIY-Webportalen wie DaWanda oder dem amerikanischen Vorgänger Etsy lässt erahnen, was mittlerweile alles durch heimisches Basteln und Werken hergestellt wird, wie viele Anbieter es gibt und schließlich auch wie groß die Nachfrage nach den Produkten ist. Die Palette ist riesig und geht weit über »einfache« Handarbeiten mit Nadel und Faden hinaus hin zu Einrichtungsgegenständen, Möbeln, Kleidung, Schmuck, Kosmetikartikeln, Küchenbedarf, Elektrogeräten. Dabei wird nicht bloß drauflosgewerkelt. Die Szene hat sich professionalisiert. In Ratgebern 40 kann jeder nachlesen, wie man es richtig macht: Hängelampen, Seife, Strickkleider, Topflappen, Laptoptaschen, Ansichtskarten, Broschen, Spiegelrahmen, Bücherregale oder für Leute, die gerne recyceln: Läufer aus alten Plastiktüten.
Wer die neue Lust am Selbermachen aber schlicht als ulkigen Trend abqualifiziert und alsbald im Strom der Geschichte verschwinden sieht, der schießt sicher zu kurz. Die aktuelle ist nicht die erste Do-it-yourself-Welle und insofern eigentlich keine große Neuigkeit. Heimwerken ist seit den Tagen, als auch
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