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Einfach ein gutes Leben

Einfach ein gutes Leben

Titel: Einfach ein gutes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ploeger
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viel passiert, seitdem Internetzugänge für Privathaushalte erschwinglich wurden und die Zahl der Nutzer dementsprechend in die Höhe schoss, also etwa seit Mitte der 90er-Jahre. Von da an haben sich auch die Möglichkeiten für Eigenarbeit und -vertrieb vervielfältigt.
    Die neue Façon der Eigenarbeit trägt größtenteils englische Namen. Das ist meist zum einen ein Hinweis auf die Herkunft aus dem IT-Bereich, zum anderen darauf, dass es sehr aktuelle, angesagte Entwicklungen sind, die dort stattfinden. Cultural Hacking ist ein solcher Trend. Cultural Hacking bleibt zunächst auf halbem Wege zwischen passivem Konsum und 100-prozentiger Eigenregie stehen. Nichtsdestotrotz ist es damit schon eine Methode, sich außerhalb des herkömmlichen Konsumkontextes zu stellen. Gemeint ist eine spielerische und subversive Art der Zweckentfremdung gekaufter oder vorgefundener Gegenstände. Kleiderbügel aus Draht werden zu einem Weinregal in brutal einfachem Chic, aus Kämmen und Linealen entsteht ein Briefständer, Designerstühle werden aufgesägt und zu stylishen Klobrillen umfunktioniert. So geraten ganze Produktserien zu Zielen der kreativen Zweckumwandlung, wie ein bekannter schwedischer Möbeldiscounter erfahren musste – »IKEA-Hacking« ist mittlerweile zu einem eigenständigen Begriff geworden. 55
    Cultural Hacking ist immer do it yourself, das Credo heißt stets: »Ich werde auf die eine oder andere Art den Raum, das Material, die Funktion oder den Kontext neu schreiben.« 56 Allerdings ist das Rohmaterial bereits für eine bestimmte Funktion vorbestimmt. Der Charme liegt darin, dass diese Funktion kommentiert und umgedeutet und somit unsere Folgsamkeit gegenüber dem vorbestimmten Zweck sichtbar gemacht wird. Hacking zerstört unsere eingeübten Wahrnehmungsmuster und macht uns orientierungslos, bietet gleichzeitig aber neue Orientierungen an. Man kann auch sagen: Es treibt die Ahnung auf die Spitze, dass etwas auch anders sein kann, als wir es zu sehen gewohnt sind. Das ist ein Prozess, der in jeder Art der Selbstorganisation stattfinden muss. Zuerst müssen alte Muster aufgebrochen werden, in die wir uns dreingegeben haben und denen wir träge weiter folgen. Die Orientierungslosigkeit, die nach dem Hack gefühlt wird, ist eine, die bereits im alten System angelegt ist: Wir spürten schon vorher, dass nicht alles richtig ist. Sie auf die Spitze zu treiben ist der zweite Schritt, der dann drittens Handlungsbereitschaft hervorrufen wird. Schließlich müssen realistische Angebote für Alternativen gemacht werden. Im Kleinen stecken diese vier Momente in allen Cultural Hacks, genauso aber auch in allen Formen von öffentlich sichtbarer Selbstversorgung oder Eigenarbeit.
    Die Unternehmen, bedroht durch eine mögliche Massenabwanderung der Kunden ins Selbermachen, haben den Braten inzwischen gerochen und merken, dass Individualisierung für die Käufer ihrer Produkte attraktiv ist. Sie konzentrieren sich allerdings auf den Aspekt der Umgestaltung nach dem Bedarf beziehungsweise Geschmack der Nutzerin. »Customization« ist eine Strategie, die Anpassung in den Verkaufsakt miteinzubeziehen, indem der Nutzerin ein Teil der Gestaltung des Produktes überlassen wird. Sie darf nicht nur unter den acht Farben aus der Katalogpalette wählen, sondern frei bestimmen, wie ihre Handyoberschale aussehen soll. Der Hersteller liefert’s nach Wunsch. Das Unternehmen sagt: »Ihr bekommt alles, was ihr wollt, genau in der gewünschten Farbe, Form und Größe, und wir behalten dafür unsere Strukturen bei und stellen nur die Produktionsverfahren ein bisschen um.« Der Kunde ist zufrieden, weil er das Produkt gerne auf sich abgestimmt haben möchte, aber nicht alles selbst zu Hause »pimpen« kann. »Die Vorteile für die Hersteller liegen auf der Hand: Abbau von Risiken, Vermeidung von Überproduktion und direktes Feedback vom Markt, welche Produkte ankommen.« 57
    Sein subversiver Charakter kann dem Cultural Hacking mit der Vereinnahmung durch die kommerziellen Hersteller jedoch nicht genommen werden. Es bleibt ein kreativer, das Produzenten-Verbraucher-Verhältnis auf den Kopf stellender Akt. Der »Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion« findet statt, wie Holm Friebe und Thomas Ramge in Marke Eigenbau unterstreichen. Selbstverständlich bleiben die neuen Formen des Selbermachens nicht beim Zweckentfremden vorhandener Produkte stehen. Die Rechenleistungen heutiger Computer machen für das heimische DIY möglich, was vor ein,

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