Einfach ein gutes Leben
ebenfalls ein Schuh draus: Ich kann Kompetenzen und Fähigkeiten einsetzen, für die sich niemand (außer privat) interessieren würde. Ein guter Jogger (der aber vom Profi-Leichtathleten weit entfernt ist) kann sich im Tauschring als Begleitung für weniger erfahrene Läufer anbieten und so eine »Hobby«-Kompetenz anderen zu beiderseitigem Gewinn an Lebensqualität zur Verfügung stellen. Das Angebot steht so auch tatsächlich im Katalog von »Zeitpunkt«. Kurzum: Die sogenannte »freie Marktwirtschaft« lässt Versorgungslücken. Der alternative Markt »Tauschring« deckt sie auf und schließt sie durch entsprechende Angebote. Auf solche Weise erhöht er die Lebensqualität aller Beteiligten und bringt sie so dem guten Leben in der von ihnen gewählten Form näher.
So gut, wie das Tauschringmodell als Alternative zur Marktwirtschaft zunächst erscheint, es ist unterm Strich selbst ein Marktmodell, wenn auch eines, das sich eine bargeldlose Struktur gegeben hat. Die vielen guten Seiten, die es hat – in dem Sinne, dass es tatsächlich für neue Qualitäten in der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen sorgt –, sollen damit gar nicht kleingeschrieben werden. Doch die Kritik ist ebenso ernst zu nehmen: Marktprozesse verselbständigen sich mitunter, sodass Tauschringe, je größer und anonymer sie werden, anfälliger werden für eben jene Ungleichheiten, die sie ursprünglich vermeiden wollten.
»Es kann leicht passieren, dass jemand eine seltene, stark nachgefragte Fertigkeit wie zum Beispiel Autoreparieren nicht einfach so eins zu eins in einem Tauschring gegen eine weitverbreitete Tätigkeit tauscht. … Was ist, wenn jemand viel mehr Unterstützung braucht, weil er oder sie zum Beispiel Kinder betreuen muss? Was ist, wenn jemand nichts anzubieten hat?« 46
Den Eins-zu-eins-Tausch konsequent abgeschafft haben deshalb die Umsonstläden und schaffen es damit, den Warencharakter von Gegenständen komplett ad absurdum zu führen. In einem Umsonstladen kann einfach jede mitnehmen,was sie gerade meint zu brauchen. Diese kleine Minimaleinschränkung gibt es allerdings noch: Keiner soll einfach kommen und die Regale leer machen (und anschließend damit einen ganzen Trödelmarktstand bestücken). Manche Umsonstläden haben deshalb eine Mitnahmehöchstzahl eingeführt. Die Kunden sollen sich, bevor sie zugreifen, ernsthafte Gedanken darüber machen, ob sie den Gegenstand im Regal wirklich benötigen oder nicht. Der Laden hat also gleichsam eine aufklärerische und didaktische Funktion wie eine versorgende. Letztlich will er Kunden emanzipieren und sie unabhängig machen von ihrer Konsumlust. »Kaufen ist Ersatz für emotionale Erfüllung, Kommunikation von Mensch zu Mensch tritt immer mehr in den Hintergrund«, wissen die Aktiven und setzen darauf, sich durch einen Umsonstladen »ein Stück weit von der kapitalistischen Logik entkoppeln« zu können. Das erreichen sie, indem sie den Gegenständen jeden denkbaren Tauschwert (ob gemessen in Euro, Zeitpunkten, anderen Gegenständen oder Ähnlichem) entziehen. Zählen wird beim Mitnehmen nur noch der Gebrauchswert oder ästhetische Wert für die Kundin, und der ist ein ganz individueller.
In Hamburg hat der »Arbeitskreis Lokale Ökonomie« 1999 einen Umsonstladen eröffnet. Das Projekt war zunächst als Gemeinschaftsarbeit für Erwerbslose und solche gedacht, »die Erwerbsarbeit nicht glücklich macht«. Die ersten Kunden des Ladens waren also vor allem die Arbeitskreismitglieder. Bis heute liegt die Verwaltung des »AK LÖK« in eigener Hand, Unterstützung durch die Stadt Hamburg gibt es keine. Alle Aktivitäten dienen in erster Linie der Selbsthilfe der Mitglieder. Das große Ziel ist, »durch solidarische Gemeinschaftsarbeit Erfahrungen selbstbestimmten Wirtschaftens zu ermöglichen, um die Abhängigkeit von der Kauf- und Tauschwirtschaft sukzessive aufzulösen«. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass im Umsonstladen nur Dinge aus dem ehemaligen Besitz der AK-LÖK-Mitglieder weitergegeben werden. Die Gegenstände sind Sachspenden von Bürgern aus allen Teilen Hamburgs. Spenden ist Teil des Konzeptes, denn auch das freiwillige Geben nimmt dem Gegebenen schon den Warencharakter. 47 Ähnlich wie von den Mülltauchern wirdvon den Umsonstläden also ein Teil der Überschussproduktion unserer Wirtschaft abgeschöpft und einer neuen Nutzung zugeführt. Aussortierte, ehemalige Waren werden dem marktgesteuerten Verwertungskreislauf entzogen und einer neuen
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