Einfach ein gutes Leben
Verwertung zugeführt, die sich qualitativ – nicht bloß zu einem bestimmten Grad – von der marktlichen unterscheidet. So gewinnen am Ende alle: die Geber, weil sie bereits ausgemusterte Dinge weiter in Gebrauch halten, die Nehmer, weil sie aus den Dingen einen Nutzen ziehen können, die Vermittler im Umsonstladen, weil sie ihrem Ziel der Selbstorganisation näher kommen, und alle zusammen, weil sie das Gefühl haben können, zum guten Leben insgesamt beigetragen zu haben.
Der dritte Sektor
Subsistenzproduktion liefert das zusätzliche »Stückchen vom normalen Leben zum etwas besseren Leben« ausgehend von ganz unterschiedlichen Niveaus. Das normale Leben kann eine bereits gut versorgte und insofern gesicherte Existenz sein, es kann auch eine prekäre Existenz in Arbeitslosigkeit sein, wie bei einigen Mitgliedern des Bielefelder Tauschringes oder den Mitgründern des Hamburger Umsonstladens. Subsistenz bedeutet in jedem Fall eine Steigerung der Lebensqualität. Bei Arbeitslosen oder anderen Menschen, die nur über beschränkte Mittel verfügen, führt die Steigerung unter Umständen allerdings überhaupt erst wieder zu einem menschenwürdigen Dasein, da jetzt die notwendigen Dinge für sie erst erreichbar sind, wie zum Beispiel soziale Kontakte oder zufriedenstellende Nahrungsmittel.
Subsistenz ist kein Einkommensersatz, wie man auf den ersten Blick vielleicht denken könnte. In Studien zur Eigenarbeit wurde dieses Motiv von den Befragten zurückgewiesen 48 , was nicht weiter überrascht: Geldeinkommen hat in der marktwirtschaftlichen Logik seinen Sinn, es ist ein Mittel zur Befriedigung lediglich derjenigen Bedürfnisse, die innerhalb dieser Logik befriedigt werden können. Für alle anderen Bedürfnisse ist das Geld prinzipiell blind. Die letzteren kann allerdings unter Umständen die Subsistenzproduktion abdecken.
Sie entstehen nicht erst, wenn die von den herkömmlichen Märkten abgedeckten Bedürfnisse zurückgehen. Aber offensichtlich ist es so, dass sie sich parallel zu den marktgedeckten vergrößern beziehungsweise ein entsprechender Mangel sichtbarer wird. Das hängt mit den Schwankungen in der Bedürfnisbefriedigung durch die verschiedenen Wirtschaftssektoren zusammen. In der klassischen Lehre ist die gesamte Ökonomie in drei Sektoren aufgeteilt: den an privaten Gewinnen orientierten Unternehmenssektor, der auch den sogenannten »ersten Arbeitsmarkt« stellt und so für das Geldeinkommen eines Großteils der Erwerbstätigen sorgt; den öffentlichen Sektor, der ebenfalls Erwerbstätige beschäftigt, darüber hinaus aber Lohnersatzleistungen wie das Arbeitslosengeld zur Verfügung stellt; schließlich den »dritten Sektor« der bürgerschaftlich selbst organisierten Tätigkeiten, die in der Regel nicht entgolten werden (jedenfalls nicht mit Geld). Im »dritten Sektor«, der auch »informelle Ökonomie« genannt wird, findet ein Großteil der Subsistenztätigkeiten statt. Man kann also der Einfachheit halber sagen: Subsistenz ist immer informelle Arbeit. 49
Gerade im ersten Sektor, der die Hauptlast der Versorgung mit Einkommen trägt, sinkt aufgrund von Produktivitätszuwächsen und Veränderungen der Organisation der Arbeit das Arbeitsvolumen. Das hat Folgen für die Erfüllung des Versorgungsauftrags, der dem produzierenden und leistungsanbietenden Teil der Ökonomie eigentlich zukommt.
»Mit der Zunahme von Arbeitslosigkeit und Armut wird ein stets größer werdender Teil gerade der unmittelbaren Reproduktionsbedürfnisse der Bevölkerung, aber auch der kommunalen Infrastrukturbedürfnisse aus den klassischen Wirtschaftssektoren ausgegrenzt und der Selbstorganisation der Betroffenen überlassen.« 50
Anders gesagt: Was erster und zweiter Sektor nicht mehr geregelt bekommen, bleibt am informellen Sektor hängen. Jeremy Rifkin, seit Das Ende der Arbeit Vordenker kommender Erwerbs- und Gesellschaftsszenarien, sieht deshalb die Notwendigkeit für einen neuen Gesellschaftsvertrag heraufgekommen. 51
Der dritte Sektor wird in Zukunft also wachsen. Dabei ist er quantitativ bereits der bedeutsamste aller drei Sektoren. Statistiken weisen aus, dass den circa 60 Milliarden durch Erwerbsarbeit und bezahltes bürgerschaftliches Engagement in der formellen Ökonomie geleisteten Stunden 98 Milliarden Stunden informeller Arbeit gegenüberstehen (siehe Tabelle).
Informelle Arbeit in Deutschland, Stand: Mitte der 90er-Jahre 52
Arbeitsvolumen in Mio. Stunden
Wertschöpfung
in Mio.
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