Einfach ein gutes Leben
Entwicklungen mit vorantreiben, weil er überzeugt ist, dass es gut und richtig wäre, wenn es möglichst vielen Menschen offenstünde, als Prosument selbst Produkte in Eigenarbeit herzustellen sowie diese in Formen des Active Commerce oder seiner Weiterentwicklungen zu vertreiben und zu erwerben. »Grundsätzlich spielen in den Ökonomien der kommenden Jahrzehnte gruppenbasierte Transaktionen eine maßgebliche Rolle als ermöglichende Strukturen für die Nutzer, um tatsächlich mündig zu werden und aktiv mitzubestimmen wie sich Produkt und Preis gestalten werden«, sagt Guthor. Auch für ihn geht der Weg in eine ähnliche Richtung wie das, was Christian Siefkes als Peer Production bezeichnet hat. Derartige Konzepte – egal, welchen Namen sie tragen – könnten die nahe gelegene ökonomische Zukunft entscheidend prägen. »Langfristig können sich auf diese Art und Weise neue Geschäftsmodelle bilden, und die Kontrolle über den Konsum wandert von dem Entscheidungsmonopol der Unternehmen hin zur Eigenverantwortung der Nutzer«, so Guthor.
Heute liegen die Produktionsmittel nicht in unserer Hand. Aber das Ziel ist schon in wechselnden Worten formuliert, ständig kommen neue Instrumente hinzu, die dazu beitragen, es zu erreichen, innovative Formen werden einer Praxiserprobung ausgesetzt und zur Reife gebracht. Die Peer-Ökonomie soll den Menschen »ein Leben nach ihren eigenen Vorstellungen ermöglichen«, Prosumenten sollen »mündig werden und aktiv mitgestalten, wie sich Produkt und Preis« darstellen, die Eigenarbeiter sollen »in ihren Fähigkeiten gestärkt und zufrieden nach Hause gehen«. Wenn man es auf ein Wort herunterbrechen wollte, dann zielen alle diese Initiativen und Ideen auf eines, nämlich Selbstbestimmung. Die Menschen sollen selbst einschätzen, was sie brauchen, selbst bestimmen, was sie wollen und wie sie sich damit versorgen. Und sie tun es, ob im Haus der Eigenarbeit oder in Tauschringen, ob im klassisch-analogen Gewand oder in den rechnerbasierten Varianten Fabbing oder Active Commerce.
Dass Menschen gegen die heute vorherrschende Idee vom Wirtschaften selbstbestimmt konsumieren und produzieren, ist ethisch richtig, meint Christian Siefkes, indem er ein Argument von Richard Stallman, Hacker und Mitgründer der Free Software Foundation, umwidmet: Eine Software, forderte Stallman, ist ein Hilfsmittel, das ich erstens an meine Bedürfnisse anpassen und zweitens meinen Mitmenschen zugänglich machen können muss, damit sie auch Letzterenzugutekommen kann. Ein System, das mich daran hindert, beides zu tun (weil Software etwa nur käuflich zu erwerben ist und unter Gebrauchsmusterschutz steht), sei absurd und werde von ihm abgelehnt. Warum sollte diese Ablehnung nicht auch – mutatis mutandis – im Falle der physischen Produktion und Distribution von Gütern gelten, fragt Siefkes. 64
Das Haus der Eigenarbeit in der Münchener Wörthstraße ist gerade um eine Attraktion reicher geworden. Sicher werden bald noch mehr Besucher in die Metallwerkstatt strömen. Dort, wo Richard Christian noch an seinem ersten Hochrad baut, ist mit der »HEi-Tec-Werkstatt« mit ihren rechnergesteuerten Gravier- und Fräsmaschinen der Grundstock zu einem FabLab entstanden.
4 ANDERS ARBEITEN
Eigenarbeit ist immer noch Arbeit. Jedenfalls heißt sie nach wie vor so. Ein unbefangener Historiker, der in tausend Jahren auf unsere Zeit zurückschaut, ließe sich von der gleichen Lautung vermutlich ködern und könnte schlussfolgern, dass es sich bei der Eigenarbeit um einen speziellen Typus der damals üblichen, gesellschaftskonstituierenden Art der Tätigkeit, der Erwerbsarbeit, handelte. Keine der Eigenarbeitsformen, die wir bis hierher kennengelernt haben, ist jedoch Arbeit im altgewohnten Sinn, weder die individuellen, selbstversorgenden Tätigkeiten in den »Häusern der Eigenarbeit« noch die kollektive »Peer Production« noch der Leistungstausch in Tauschringen. Im Gegenteil: Eigenarbeit entfernt sich von der Idee der Erwerbstätigkeit. Sie ist oft sogar ein explizites Gegenmodell, genau wie ihre Subsistenzschwester, die Selbstversorgung. Beide sprechen dieselbe Sprache: »Wir wollen anders leben. Wir wollen besser leben.«
Und das heißt letztlich: »Wir wollen anders arbeiten« – notwendigerweise, denn Erwerbsarbeit nimmt einen überragenden Stellenwert in modernen Gesellschaften ein. Man spricht nicht ohne Grund von unserem Zivilisationsmodell als der »Erwerbs(arbeits)gesellschaft«. Erwerbsarbeit ist der
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