Einfach ein gutes Leben
Hauptregler auf dem Schaltpult der sozialen Integration. Je weiter unten er steht, desto schwerer fällt es dem Einzelnen, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, am kulturellen Leben teilzunehmen, seine Freizeit nach seinen Wünschen zu gestalten,Freundschaften zu finden und aufrechtzuerhalten, langlebige Partnerschaften zu führen und so weiter. Sprich: Je erfolgreicher einer damit ist, seinen Lebensunterhalt mittels dem zu bestreiten, was er auf dem Arbeitsmarkt an Erwerbsmöglichkeiten ergattern kann, desto erfolgreicher und befriedigender wird sein gesamtes Leben verlaufen – statistisch gesehen.
Nun dräut aber allmählich die Erkenntnis, dass der Regler nicht länger für alle oben stehen wird. Bei vielen sind die Lichter schon ausgegangen, bei einer steigenden Zahl flackern sie nur noch. Sie haben große Schwierigkeiten, auf dem sogenannten »ersten Arbeitsmarkt« Fuß zu fassen, und hangeln sich von Job zu Job, von Dispokredit zu Dispokredit. Soziale Integration ist für sie ein ständiger Kampf, »Vergesellschaftung über Erwerbsarbeit« ein Begriff aus einem soziologischen Märchenland. Aus den Reflexionsinstitutionen, den Universitäten und Instituten, dringt schon seit Längerem der warnende Ruf, das eigene Beschreibungsvokabular könne alsbald von der Lebenswelt ad absurdum geführt werden. Dann, so der Soziologieprofessor Wolfgang Bonß von der Universität der Bundeswehr in München, »könnte es durchaus sein, dass das Erwerbsarbeitspotenzial langfristig nur noch für die Beschäftigung einer Minderheit reicht, während für die Angehörigen der Mehrheit eine ›globale Ausweglosigkeit‹ droht«. 65 Für Letztere sieht es so aus, als sollten sie gar nicht mehr die Wahl haben, auszusteigen, um ins gute Leben einzusteigen. Sie werden einfach rausgeworfen.
So frei, wie »aus dem Geld zu gehen«, könnten sie also nicht entscheiden, »aus der Arbeit zu gehen«. Auf der anderen Seite wird die Wahl für einen Ausstieg aus der Erwerbsarbeit immer plausibler, je eingeschränkter die Lebensperspektiven beim Drinbleiben werden. Diejenigen, die sich dafür entscheiden, finden auch gute Gründe, dazu müssen sie nicht erst direkt davon bedroht sein, durch einen Jobverlust aus dem Leben zu fallen. Michael Hartl und Lisa Pfleger sind unter anderem deshalb auf ihren Kleinhof gezogen, weil es ihnen nicht passte, »dass du von morgens bis abends damit beschäftigt bist, zu lernen, zu arbeiten oder dich vom Lernen und vom Arbeiten zu erholen« (siehe Kapitel 2). Bei Licht betrachtet erscheinen tatsächlich manche Eigenschaften der herkömmlichen Erwerbsarbeit so unattraktiv, dass man sie rundheraus ablehnen darf.
Der Wert der Arbeit
Arbeit nach dem heute üblichen Verständnis hat eine ganz bestimmte Gestalt. Es beginnt damit, dass wir bezahlte Tätigkeiten meinen, wenn wir von »Arbeit« sprechen. Lohn ist geradezu das definierende Moment. Arbeit ist Erwerbsarbeit, und wer gerade keine hat, von dem wird angenommen, dass er zumindest danach sucht. (Ausgenommen sind Kinder, Rentner, Hausfrauen oder Hausmänner und so fort, die aber ihrerseits wieder vom Einkommen der Erwerbstätigen abhängen.) Das Erwerbsarrangement ist der Kern unserer indirekten Versorgungsweise, die zwischen die Bedürfnisse des Menschen und die Güter, die diese Bedürfnisse befriedigen, stets das Geld schiebt.
Zweitens vollzieht sich Arbeit heute in Aufgabenteilung und damit im Gegensatz zu Versorgungstätigkeiten früherer Tage. Die Abläufe in der Produktion sind so differenziert, dass jede Tätige lediglich einen Teil des Gesamtprozesses überblicken kann. Kaum jemand stellt noch ganze Produkte her und ist an allen dazu notwendigen Schritten beteiligt. Seit der Nadelmanufaktur in Adam Smiths Wealth of Nations hat sich daran prinzipiell nichts geändert. Damit geht eine Distanz des Arbeitenden zum Endprodukt einher, die er nicht hätte, könnte er in alle Herstellungsschritte eingreifen. Man spricht daher von »entfremdeter« Tätigkeit.
Die Produktionsorte sind, ebenfalls im Unterschied zur Subsistenzproduktion, in der Regel zentralisiert in speziellen Einrichtungen: Fabriken, Büros, landwirtschaftlichen Betrieben, Behörden, Logistikzentren. Die Erwerbstätigen müssen also täglich erst zu den Produktionsorten gelangen, sie sind nicht mit ihren Wohnplätzen identisch.
Die Mittel der Produktion gehören nicht den Arbeitenden, sondern einer speziellen Gruppe von Eigentümern, die gleichzeitig als Arbeitgeber fungieren. Zur Erwerbsarbeit
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