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Einfach ein gutes Leben

Einfach ein gutes Leben

Titel: Einfach ein gutes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ploeger
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Vergleich bestätigt unterm Strich also, dass die herkömmlichen Messungen des »Wohlstands« in Wahrheit kaum etwas über das gute Leben aussagen können. Diese Taschenlampe sollten wir besser abschalten und uns der moderneren Diagnostik zuwenden, wie mithilfe der alternativen Indizes gefordert wird.
Es ist eure Stadt: Begrünt sie!
    Die Beharrungskräfte mögen noch so groß gewesen sein: Und sie bewegt sich doch – die überalterte Vorstellung, das gute Leben könne sich nach Preissummen bemessen lassen. Das könnte unter anderem bedeuten, dass auch die Orte, an denen wir leben, endlich eine Bedeutung für die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung bekommen. Wie weit die Einsicht reicht, sei noch dahingestellt. Werden Lebensräume als Teil der Wertschöpfungskette konzipiert, könnten sie weiter der alten Verwertungslogik unterliegen. Lediglich die Preise für Verschmutzung, Verbrauch, Abnutzung würden dann vielleicht realistischer kalkuliert beziehungsweise überhaupt eingerechnet. Ein ganz anderer Zugang ergibt sich, wenn man Lebensräume als Bestandteil oder Quelle eines guten Lebens versteht. Das würde bedeutet, sie einer ökonomischen Nutzung durchaus einmal zu entziehen.
    Das Spektrum der Zugangsweisen spiegelt sich in den unterschiedlichen Motiven pro Erhalt der natürlichen Lebenswelt, der »Umwelt«, wider. Wir können Natur erhalten wollen, weil sie uns als Ressourcenquelle dient; weil wir sie als Erholungsraum brauchen; weil sie unseren ästhetischen Sinn anspricht; oder aus weiter gefassten ethischen Gründen: aus einem eher anthropozentrischen Weltbild heraus (Natur ist bewahrenswert, weil wir aus ihr stammen und in ihr leben) oder einem biozentrischen (Natur ist an sich bewahrenswert). All diese Motive sprechen mehr oder weniger stark Funktionen der natürlichen Umwelt für die Wohlfahrt des Menschen an. Das gute Leben hängt an unserem Lebensumfeld, so weit scheinen sich alle einig zu sein.
    Die menschengemachte Umwelt, darin vor allem unsere Ansiedlungen, bleiben auch in den neueren Wohlfahrtsrechnungen unterbelichtet. Das ist schade, denn gerade die Stadt – das zeigen uns die Traceure und die Urbanauten – hebt einen Faktor des guten Lebens hervor, der schnell vernachlässigt wird: die Selbstbestimmung. Die Traceure bahnen sich ihren höchsteigenen Weg durch die Stadt, die Urbanauten setzen Kristallisationspunkte für eine freie, bürgerschaftliche Nutzung öffentlicher Räume. Beide scheren sich nicht darum, wozu Straßen, Plätze, Brücken und Wände geplant sind oder welche Nutzungsrechte auf ihnen liegen. Kein Traceur geht erst zum Katasteramt oder der Rechtsberatung, bevor er die Schuhe schnallt. Damit sind sie den vielen Grünfreunden verwandt, die in Baulücken ihre Nachbarschaftsgärten eröffnen. Auch sie kümmern sich nicht um den Zweck, den der Investor für das Gelände vorgesehen hat, ihnen sind ihre Gemeinschaft und ein Stück selbst gemachtes Grün wichtiger.
    Sie werden zur Not auch mittels Protest aktiv, wenn es an ihre Gärten geht. Noch provokanter treibt es eine andere Bewegung, der es ebenfalls darum zu tun ist, Stadtraum zu begrünen. Schon ihr Vokabular ist martialischer: Sie werfen Bomben. Allerdings dorthin, wo es keinem wehtut. Verletzen werden sie per se niemanden, bestehen die Bomben doch aus Lehm, Muttererde und Blumensaat.
    Guerilla-Gärtner sind keine Terroristen. Ihr Ziel ist nicht, Angst zu verbreiten, sondern im Gegenteil: die Stadt lebenswerter zu machen. Also werfen sie ihre Saatbomben über Maschendrahtzäune auf brachliegende Grundstücke und begrünen in Nacht-und-Nebel-Aktionen Verkehrsinseln oder die Straßenrandstreifen in ihrem Viertel mit Blumen und Nutzpflanzen. Sie pflegen ihre Anpflanzungen, solange die öffentlichen Ordnungsstifter sie lassen. Sie harken, gießen, jäten und ernten Samenkapseln für neue Saatbomben.
    »Guerilla Gardening« hat in den 70er-Jahren in den USA seinen Ursprung genommen und vor wenigen Jahren nach Paris, London, New York, Toronto oder Vancouver nun auch Deutschland erreicht. Minimal definiert bedeutet es »das selbstbestimmte und nicht ausdrücklich autorisierte Bepflanzen von nicht eigenen, öffentlichen und nicht anderweitig genutzten Flächen«. 148 Wie andere stolze Gärtner auch zeigen die Gartenpiraten gerne her, was sie geschaffen haben. Fotos von eigenhändigen Begrünungen sind auf den einschlägigen Webseiten zu sehen, etwa auf gruenewelle.org oder guerillagardening.org. Dort kann jeder Zeuge werden, wie Mohn,

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