Einfach ein gutes Leben
beteiligten Experten empfehlen schließlich, die Messung von Wohlstand und wirtschaftlicher Entwicklung weitgehend zu überdenken und verbesserte Indikatoren zu entwickeln. 141
Das Überdenken geschieht bereits. In der jüngsten Zeit wurden an unterschiedlichen Stellen alternative Indizes erdacht, die alle versuchen, ein zutreffenderes Bild von Stand und Entwicklungspotenzialen menschlicher Wohlfahrt zu zeichnen. Die Stiglitz-Kommission hat einen eigenen Vorschlag entwickelt. Sie formuliert ihn in einer Reihe von Empfehlungen. Ihr Rat besteht zum Beispiel darin, die Messungen der Produktion innerhalb einer Volkswirtschaft durch Messungen des Verbrauches und des Einkommens der Akteure zu ergänzen; statt Volkswirtschaften als Ganzes den Privathaushalt als maßgebende Einheit zu wählen; Güter und Aktivitäten zu berücksichtigen, die nicht auf Märkten verhandelt werden; Lebensbedingungen und Fähigkeiten einzubeziehen und so fort. Die Liste nimmt sehr viele der Kritikpunkte am BIP auf, die sich im Laufe der Zeit aufgehäuft haben. 142
Aus Diefenbachers und Zieschanks Feder stammt der »Nationale Wohlfahrtsindex (NWI)«, der sich als Ergänzung zum BIP um Aspekte einer nachhaltigen Wirtschaftsweise versteht. Er lenkt den Blick daher unter anderem auf die Einkommensverteilung, den informellen Sektor, den längerfristigen Nutzen von Gebrauchsgütern sowie auf Unfälle, Umweltverschmutzung und den Pendelverkehr mit ihrer wohlfahrtsmindernden Wirkung. 143
Bereits Anfang der 90er-Jahre haben der pakistanische Ökonom Mahbub ul Haq und Amartya Sen im Rahmen eines Projekts des United Nations Development Programme (UNDP) einen »Human Development Index (HDI)« formuliert. Ganz im Geiste von Sens Befähigungsansatz fokussiert der HDI auf die Menschen und was sie sein und erreichen können. Ziel jeder wirtschaftlichen Entwicklung sei es, menschliche Freiheiten und Fähigkeiten zu erweitern. Was zum Leben gebraucht wird – Nahrung, Gesundheit, Bildung etc. –, sollte als Zweck gewertet werden, der keiner weiteren Begründung bedarf. Weder die Zwecke noch der Mensch selbst sollten zu reinen Produktionsfaktoren degradiert werden, was in herkömmlichen Ansätzen der Ökonomik und der wirtschaftlichen Praxis aber geschehe, so die Kritiker. Lebensmittel gerönnen dort zu Investitionen in das Humankapital Mensch und würden dementsprechend nach ihrem »Return on Investment« beurteilt. Der HDI will dem entgegenwirken. 144
Ebenfalls bereits betagter ist der von Herman Daly und John Cobb initiierte »Index of Sustainable Economic Welfare (ISEW)« (der inzwischen zum »Genuine Progress Indicator(GPI)« weiterentwickelt wurde). Er orientiert sich ebenso wie der NWI an einer nachhaltigen Entwicklung, benutzt zum Teil ähnliche Teilindikatoren und war ursprünglich ebenfalls als Ergänzung zum BIP gedacht. 145
Anhand des NWI und des ISEW wird besonders deutlich, wie weit BIP und echte Wohlfahrt auseinanderklaffen, da sie sich gut mit dem BIP vergleichen lassen. Die folgenden Schaubilder demonstrieren, wie sich die Zahlen im direkten Vergleich auseinanderbewegen.
Das Schaubild zeigt die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1970 bis 1987 im Vergleich zu der des ISEW der BRD für den gleichen Zeitraum. Der Anschaulichkeit halber sind die Zahlen auf Prozentwerte heruntergerechnet, 1970 wurde als Vergleichsjahr mit dem Wert 100 gesetzt. Ein ähnliches Bild ergibt sich für das NWI der Jahre nach 2000 (Schaubild 2). Auch hier wurde 2000 = 100 gesetzt. Vergleichsgröße ist das Bruttonationaleinkommen (BNE), das sich direkt aus dem BIP herleitet. 146
Beide Schaubilder zeigen zweierlei sehr deutlich: Das Bruttoinlandsprodukt steigt abgesehen von kurzen Zeiten der Krise kontinuierlich an (die erste Ölkrise 1973, die Auswirkungen der zweiten Ölkrise nach 1979, die geplatzte Dotcom-Blase nach 2001). Die anderen Indikatoren nehmen dagegen einen anderen Weg. Der ISEW hält bis etwa 1980 noch mit, danach fällt er dramatisch ab. Diesen abrupten Abfall der Lebensqualität kann man im Übrigen für denselben Zeitpunkt bei mehreren der sogenannten entwickelten Länder beobachten: den Niederlanden, Österreich, den USA. Nur in Großbritannien setzt er schon früher ein. 147 Ebenso flagrant sind die Unterschiede zwischen BIP und NWI in späteren Jahren. Was bei ISEW und NWI gleichermaßen auffällt, ist: Auch wenn das Bruttoinlandsprodukt steigt, stagniert oder fällt der jeweils andere Index.
Der
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