Einfach ein gutes Leben
Lavendel oder Fetthenne Baulücken oder Baumscheiben (dem meist kreisförmigen knappen Quadratmeter Erde um einen Straßenbegleitbaum herum) ihre Tristesse nehmen und zu Orten machen, an denen man gerne einen Liegestuhl und einen Grill aufstellen würde – was manche auch prompt tun. Alles, was brachliegt, ist ein potenzielles Ziel im Kampf um noch ein kleines bisschen mehr Nutzen für die Stadtleute.
Mitmachen kann jeder, Voraussetzungen gibt es keine, auch keinen Verein, der Voraussetzungen überwachen könnte. Eine Kurzanleitung zum Protestgärtnern kann man im Internet nachlesen:
1. Halte Ausschau nach einem verwahrlosten Stück Land, vorzugsweise in der eigenen Nachbarschaft. In Berlin eignen sich besonders gut Baumscheiben, Brachflächen und ungenutzte Pflanzkübel.
2. Entscheide, was du anpflanzen möchtest und ob deine Wahl Sinn macht. Zähe Gewächse und schnell wachsende Blumen geben gute Erfolgserlebnisse für den Anfang.
3. In Gemeinschaft macht’s mehr Spaß – finde Verbündete! Sprich mit Freunden und Nachbarn!
4. Lege deinen Garten an. Eventuell musst du noch ein bisschen Blumenerde mitbringen und auf jeden Fall nach dem Einpflanzen angießen!
5. Manchmal macht es Sinn, sein Gärtchen gegen die Herausforderungen des Stadtlebens zu schützen, zum Beispiel mit einem kleinen improvisierten Zäunchen gegen Hunde oder Füße.
6. Pflege dein Gärtchen mit Liebe! Geh regelmäßig hin und gieße.
7. Wenn mal was anders läuft als gewünscht, lass dich nicht entmutigen! Sprich mit anderen Anwohnern! Die meisten werden deine Aktion toll finden und dich mindestens moralisch unterstützen. Und manche machen vielleicht gleich mit! 149
Daneben gibt es eine sehr skrupulöse Anleitung in bewegten Bildern zur heimischen Herstellung von Saatbomben auf YouTube. 150
Die Motive der Gartenpiraten sind vielschichtig. Sie werden sicherlich getragen von der Grundeinstellung aller Aktivisten: Sie wollen nicht tatenlos klagen, sondern eigenhändig etwas zum Positiven verändern. Auch warten sie nicht auf eine große Ideologie, sie legen einfach los. Darüber hinaus sind die Gründe, mit dem Guerilla Gardening anzufangen, aber durchaus unterschiedlich. Die eine lockt das gemeinsame Tun in der Gruppe, die Verbindung zu Leuten mit demselben Anliegen, den anderen die Möglichkeit zu kreativem Ausdruck.Naturerfahrung selbst zu machen oder anderen zu ermöglichen kann genauso ein Motiv sein wie der Stolz auf das mit den Aktionen Erreichte. Manchmal, gerade in den ärmeren Vierteln, trägt das wilde Gärtnern sogar zur Grundversorgung mit Nahrungsmitteln bei. 151
Das übergreifende politische Motiv ist jedoch der Widerstand gegen die Kommerzialisierung und Privatisierung des öffentlichen Raums. Hierin gleichen sich Guerilla Gardening und urbane Subsistenzbewegung. Baumscheiben bepflanzen und die jahrelange Auseinandersetzung um die »Rosa Rose« (siehe Kapitel 2) stehen in dieser Hinsicht in einer Reihe. Es sind nur oberflächlich betrachtet Geschichten, in denen der David des Bürgerprotestes einen kurzen, heftigen Kampf um ein Stück Lebensraum gegen den bösen Kapitalisten-Goliath führt und verliert. Ganz so simpel ist die Sache nicht. Der Sinn hinter der grünen Guerillataktik geht wesentlich tiefer. Sie ist buchstäblich eine Grassroots-Idee. Das wilde Gärtnern geht in seinem Anspruch weiter als ein punktueller Protest gegen einzelne Investoren aus einem romantischen Impuls heraus. Indem es die Natur zurück in die Städte holt, geht es gegen die Natur der Marktwirtschaft selbst an.
Privatisierung ist ein intrinsischer Bestandteil des Kapitalismus. Kapitalistische Güterproduktion und Wohlstandsakkumulation bauen auf dem Besitz und der Vermehrung von privatem Eigentum auf. So sind auch große Stadtflächen, die ehedem der gemeinsamen Nutzung überlassen waren, heute in privatem Besitz (zum Problem der Gemeingüter siehe Kapitel 5). Für den einzelnen Bürger gehört zu einem guten Leben aber unter anderem die Erfahrung, mit anderen gemeinsam in dem von allen geteilten Lebensraum wirken zu können und solidarische Arbeit zu leisten, die über die getrennten Individuen hinaus einen umfassenden Nutzen erbringt. Zweitens ist auch die Fähigkeit, Anteil nehmen zu können an der lebendigen Tier- und Pflanzenwelt, eines der menschlichen Grundbedürfnisse. Liegen Flächen ungenutzt in Privatbesitz, die eigentlich Nachbarschaftsgärten sein könnten, hindert der Besitzer – ob er will oder nicht – die
Weitere Kostenlose Bücher