Einfach ein gutes Leben
Gemeinschaft daran, die Grundbefähigungen der solidarischen Tätigkeit und der Naturerfahrung voll zu erreichen. »Durchdie zunehmende Privatisierung des öffentlichen Raumes wird es immer schwieriger, sich in der Stadt an angenehmen Orten aufzuhalten, ohne Eintritt zu bezahlen oder kostenpflichtig etwas konsumieren zu müssen«, schreibt Julia Jahnke, eine der Berliner Gartenaktivistinnen, in ihrer Masterarbeit, die sie dem Guerilla Gardening gewidmet hat. So wird es zu einer Eigenart der Marktökonomie, den Menschen die Gemeingüter vorzuenthalten und der privaten Nutzung (meist der Kapitaleigner) zuzuführen. Die meisten Bürger reagieren darauf defensiv. Wo sie keine Gemeingüter mehr finden, ziehen sich die Leute normalerweise ins eigene Heim zurück. »Die modernen kapitalistisch geprägten Gesellschaftsstrukturen verlagern das soziale Leben dadurch immer weiter in den privaten Bereich und das städtische Leben wird zunehmend anonymer«, so Jahnke weiter. 152
Genau damit geben sich die Gartenpiraten nicht mehr zufrieden. Sie holen sich den sozialen Raum zurück – mit jahrelangen Besetzungsaktionen oder einfach im Vorbeigehen mit einem Bombenwurf. Guerilla Gardening setzt da an, wo Menschen durch ein Übermaß an Privateigentum von Grundbedürfnissen abgeschnitten werden. Es holt brachliegendes privates und öffentliches Eigentum in eine menschenfreundliche Nutzung zurück. Sein übergreifender Anspruch ist die »Rückforderung der Allmende«, sein Schlachtruf »Reclaim the commons«.
Gärtnern wird damit zu einem Mittel, Lebenschancen zu erweitern. Die grünen Guerillas haben die weiterführenden Anschlüsse bereits erkannt. Sie verbinden ihr Anliegen zum Teil mit Formen der urbanen Selbstversorgung, schließen sich in lokalen Netzwerken einer »moralischen Ökonomie« zusammen, das heißt einer Wirtschaft auf Gegenseitigkeit und Vertrauen, oder verbinden ihre Aktivitäten mit einem Protest gegen die Agrarindustrie. Guerilla Gardening kann viel mehr sein als beiläufige Stadtverschönerung, es verknüpft Subsistenz, Ökonomiekritik und Engagement für eine selbstbestimmte Bürgerschaft.
Ein Recht auf Stadt
Wenn es um die Rückforderung der Stadt für die Bürger geht, sind die Hamburger weit vorn mit dabei. In der Elbmetropole kann der Protest gegen die von Stadtentwicklungsinteressen getriebene urbane Restrukturierung auf eine lange Tradition zurückblicken und hat mit der Hafenstraße ein landesweit bekanntes Symbol. Neu ist eine Bewegung mit dem sprechenden Namen »Recht auf Stadt«. 153 Sie hat sich im Sommer 2009 gegründet. Genau genommen ist sie allerdings ein Zusammenschluss aus 30 bereits länger bestehenden Initiativen, die auf einer Demonstration in jenem Sommer ihren gemeinsamen Nenner entdeckt haben. Sie alle stören sich an den jüngsten Bemühungen der Hamburger Regierung, ihre Heimat in die »Wachsende Stadt« zu verwandeln – so der schöne Titel aus der Abteilung Stadtmarketing.
»Recht auf Stadt« ist die direkte Übersetzung eines Buchtitels des französischen Intellektuellen Henri Lefèbvre, in dessen Geiste die Bewegung auch handelt. Man geht auf die Straße, »weil man gemerkt hat, dass es in Hamburg schon ein neoliberal geprägtes Stadtentwicklungsbild gibt, wie in vielen anderen Metropolen auch«, sagt Niels Boeing, Journalist und Aktiver bei LOMU (Local Organized Multitude), einer der bei »Recht auf Stadt« zusammengeführten Initiativen. »Marke Hamburg war das Stichwort – wie machen wir Hamburg interessant, um die Hotshots des globalen Business oder des globalen Tourismus anzuziehen?« Und wie erreichen wir die »Marke Hamburg«? Durch Gentrifizierung, beklagen die aufgebrachten Bürger.
Das Wort klingt geheimnisvoll, hat sich aber mittlerweile durchgesetzt sowohl als Kampfbegriff der neuen Bürgerbewegung als auch in der soziologischen Beschreibungssprache. »Gentry« war im neuzeitlichen England die Bezeichnung für die Schicht der Nicht-ganz-an-der-Spitze-Stehenden aus landbesitzendem Kleinadel, wohlhabendem Bürgertum und Akademikern. Um die Ersteren geht es bei der Gentrifizierung heute weniger, wohl aber um die anderen beiden zahlungskräftigen Gruppen. Gentrifizierung meint im Grunde die Verdrängung von Bewohnern mit vergleichsweise niedrigem Status aus ihrem Wohnviertel, um Mietern oder Käufern von höherem Status einen Zuzug schmackhaft zu machen. Dazu wird die Bausubstanz zunächst saniert, verändert, aufgewertet, was in der Regel ein Ansteigen der Mietpreise
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