Einfach ein gutes Leben
geöffnet. Das Publikum kommt in Strömen. »Die Kinder kommen und sind stolz: ›Boh, ich war im Freibad, mitten im Herbst!‹« Oliver Böcker hilft mit bei den Aktionen, mit denen der Verein das Bad am Leben erhält. »Der Unterschied ist die überschaubare Größe. Es ist familiärer hier.« Seine Frau bringt es auf den Punkt: »Das Motto ist – ›Mein Freibad Gadderbaum‹. Ich bin da groß geworden, habe da schwimmen gelernt, so wie viele andere Besucher auch. Ich möchte, dass das Bad auch weiterhin den Kindern zur Verfügung steht.«
Seine Besitzerin mag die Stadt sein, das Bad gehört jedoch allen. Die Leute, ob alteingesessen oder zugezogen, kommen gerne, weil sie sich mit ihm verbunden fühlen können, weil sie es als Teil ihres Viertels begreifen. Das Bad ist ihr Bad. Dass diese Bindung und das Verantwortungsgefühl den Unterschied zu den großen Erlebnisbädern ausmacht, ist den Böckers bewusst. Die kritisieren sie wegen ihrer kommerziellen Orientierung. »Na klar, die ziehen Massen, sie sind beheizt, machen Spaßbadaktionen, bauen Riesenrutschen.« Aber, ergänzt Birgit Böcker, große Besucherzahlen schreibt Gadderbaum auch, und – besonders wichtig: »Die Leute sind bei uns gut aufgehoben, sie sind nicht nur eine Nummer.« Der kommerzielle Charakter der großen, unter riesigem Werbeaufwand überregional konkurrierenden Eventbäder fördert deren Anonymität. Es ist wie im Hamburger Beispiel: Um eine Klientel herzulocken, die Geld in die Kassen spült, folgt man der ökonomischen Logik, sich möglichst groß und sichtbar aufzustellen. Die Währung Aufmerksamkeit soll die Währung Euro mit sich ziehen, die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen vor Ort fallen derweil unter den Tisch – die Bedürfnisse nach Gemeinschaft und nach bürgerschaftlicher Selbstbestimmung zum Beispiel, denen die Leute durch ihr Engagement wieder zu seinem Recht verhelfen. »Recht auf Stadt« und der Förderverein in Gadderbaum sind sich darin gleich, dass sie den Vorrang der ökonomischen Interessen ans Licht bringen und zeigen, dass sich eine Politik, die sichzu stark an diesen Interessen orientiert, ihre blinden Flecken hat, bei Weitem nicht alle Bürgerbedürfnisse befriedigen kann und zudem der Selbstorganisation Hindernisse in den Weg legt.
Die städtische Politik steht dem Förderverein nämlich keineswegs zur Seite, im Gegenteil (von einigen Ausnahmen abgesehen). Birgit Böcker hat die Entscheidungen im Stadtrat lange genug mitverfolgt. »Leider sind die Leute im Rat eher kommerziell orientiert, weniger sozial. Das juckt die alle gar nicht. Die gucken nicht, wie es an der Basis aussieht, was deren Interessen und Sorgen sind. Die gucken auf Zahlen mit dem Eurozeichen dahinter und dann wird gestrichen. Aber wir geben der Zahl ein Gesicht.« Nach einem Ratsbeschluss wurde der Eintrittspreis jetzt für alle Bielefelder Bäder unterschiedslos auf vier Euro angehoben. Für kleine Bäder normalerweise ein Todesurteil, da im direkten Vergleich die gut ausgestatteten großen Betriebe bei den Gästen den Vorzug bekommen würden. Der Verein fühlt sich überrumpelt. »Die Politik versucht, uns damit am langen Arm verhungern zu lassen. Wir lieben es aber, ihnen Steine in den Weg zu legen. Wir sind der Politik ein riesen Dorn im Auge. Das Bad hat mittlerweile Kultstatus deswegen.«
Die Gadderbaumer sind froh über ihren Förderverein. Sie wissen, dass sie selbst etwas tun müssen, wenn sie sich nicht einfach Interessen unterwerfen wollen, die sie als schädlich für ihr eigenes gutes Leben erkannt haben. »Recht auf Stadt«, »Mein Freibad Gadderbaum« – Rufe wie diese wird es noch häufiger geben in einem Deutschland, das sich wieder auf die Selbstorganisation besinnt.
7 EINSTEIGEN!
Selbstversorgung, urbanes Gärtnern, Mülltauchen, Eigenarbeit, Tauschringe, Peer Production, Social Commerce, Prosuming, »Neue Arbeit«, Muße, selbst organisierte Betriebe, Arbeitssammeln, Genossenschaften, Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften, Gemeingüter, Freerun, Urbanauten, Guerilla Gardening, »Recht auf Stadt« und alle anderen neuen und alten Tätigkeiten, Organisationsformen und Initiativen, die die letzten fünf Kapitel bevölkert haben, könnten auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein. Was die Menschen, die sich mit all diesen Dingen beschäftigen, hier zusammenführt, ist ihre grundsätzliche Haltung. Sie kratzen am Lack unserer eingefahrenen kapitalistischen Marktwirtschaft, gezielt oder im Vorbeigehen. Jeder von
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