Einfach ein gutes Leben
Kreise, dass die Stadt schließlich einlenkte und die beginnende Gentrifizierung zurückdrehte. 158
Der Erfolg gab der Bewegung Auftrieb. Das Thema »Recht auf Stadt« ist ein wiederkehrender Bestandteil des öffentlichen Diskurses innerhalb Hamburgs geworden. Es gab inzwischen Anhörungen mit Gentrifizierungskritikern. Die Parteien springen auf den fahrenden Zug auf und übernehmen Slogans für ihre Parteiprogramme. Und aus dem Motto »Hamburg – Wachsende Stadt« ist »Wachsen mit Weitsicht« geworden. Die kritische Masse für eine »Repolitisierung des Öffentlichen«, die auch Andrej Holm fordert, ist offensichtlich erreicht. Die zentralen Konflikte der Gesellschaft, das zeichnet sich immer mehr ab, werden wieder einmal in der Stadt gebündelt. Die Konturen der Konflikte der nächsten Zeit zeichnen sich an der laufenden Gentrifizierungsdebatte bereits ab: »Es geht um Verändern gegen Bewahren, um Eigentum gegen Gemeinwesen und vor allem um Wirtschaftlichkeit gegen Soziales.« 159 Es geht, so könnte man resümieren, um die Zugriffsrechte der wenigen versus die Selbstbestimmung der vielen.
Engagement für das unmittelbare Lebensumfeld findet sich überall, in den Metropolen genau wie auf dem Dorf, in den gut gestellten Vierteln ebenso wie in den sozialen Brennpunkten. Von dieser Art Engagement lebt der informelle Sektor, da hier kaum Geld fließt, das die Leute locken könnte. In denen, die mitmachen, muss etwas von sich aus brennen. Oft ist mindestens ein kleiner Funke Widerstandswille dabei. »Ich würde niemals in die Politik gehen«, sagt die Sporttherapeutin Birgit Böcker aus dem Bielefelder Stadtteil Brackwede, »aber eins macht Spaß: diese Art von Widerstand. Was kann ich in meiner kleinen Welt noch verbessern? Auch, damit ich mich in meiner eigenen Haut wohlfühlen kann. Mein Mann und ich sind beide keine Typen, die sich in den Sessel zurücklehnen.« »Es ist dieser Spirit, den ich auch am Sport schätze«, ergänzt Oliver Böcker.
Der »Spirit« scheint den Sozialarbeiter bei allem, was er anfängt, anzutreiben. Wenn er etwas tut, macht er es gründlich. Und möglichst so, dass noch mehr daraus entsteht. Als er begann, sich für American Football zu interessieren, Mitte der 80er-Jahre, gab es noch keine Mannschaft in Bielefeld, der Sport war in Deutschland noch weitgehend unbekannt. Also gründete er mit ein paar anderen Begeisterten die »Bielefeld Bulldogs«. Es war schwierig am Anfang: Es gab nicht einmal Bälle, von der aufwendigen Ausrüstung ganz zu schweigen, keine Bücher zum Thema; das alles bei eBay zu bestellen kam nicht infrage, 1986 war das Internet noch Science-Fiction. Die Mannschaft hat es später trotzdem bis in die zweite deutsche Liga geschafft. Da war auch Birgit Böcker schon als Cheerleaderin dabei. Heute sind beide Anfang 40, aus dem aktiven Football und Cheerleaden ausgestiegen. Birgit hat noch eine Weile den Nachwuchs trainiert, Oliver ist Coach der »Old Bones«, der Veteranen, geblieben.
Die beiden sind es gewohnt, Dinge aus dem Boden zu stampfen. Den Einsatz zeigen sie im Sport genauso wie in kommunalen Angelegenheiten. In ihrer Umgebung gibt es in ihren Augen lokalpolitisch genug zu tun. Oliver Böcker will »was machen, nicht nur erzählen. Das ist mir nicht egal, was da passiert. Und auch: Die Leute begeistern, mitzumachen.« Was da passiert, passiert gerade überall in Deutschland. Die knappen Kassen der Kommunen zwingen die Verwaltungen dazu, öffentliche Einrichtungen zu schließen. Bäder sind besonders beliebte Objekte der Kürzungspolitik. Ein solches liegt auch den Böckers besonders am Herzen. Das Freibad im Stadtteil Gadderbaum steht schon seit Jahren auf der Streichliste der Stadt: zu teuer, zu wenige Einwohner im Einzugsbereich, kaum verfügbares Personal. Es wäre schon längst weg, wenn es nicht den Förderverein für das Freibad Gadderbaum gäbe. Er zählt heute beeindruckende 2.000 Mitglieder, und kaum ein anderer Förderverein in der Stadt ist rühriger als er. Jedes Jahr steht das Freibad vor der Schließung, jedes Jahr gelingt es dem Verein immer aufs Neue, sie zu verhindern.
Birgit Böcker ist Mitglied im Vorstand. »Gadderbaum ist kein normales Bad, es ist eine andere Hand, die es führt. Wir bemühen uns, das Ganze freundlich zu gestalten, die Leutekriegen von uns Sonnenschirmchen, an der Kasse gibt es Bonbons für die Kinder.« Und selbst im Herbst ist das Bad noch einmal an zwei Samstagen für den »Freibadlauf« und das »Lichterfest«
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