Einfach ein gutes Leben
Wirtschaftsordnung allgemein negative Wirkungen zu unterstellen, erst recht nicht darum, sie in Bausch und Bogen abzulehnen. Interessant ist aber, dass die Akteure der Selbstorganisation so handeln, als spürten sie ein dauerndes Unbehagen mit den Auswirkungen der jetzigen Wirtschaftsweise auf ihr Leben. Sie reagieren mit einem Drang nach Veränderung, der einen Teil ihres Lebens aus jener Wirtschaftsordnung herausbringt. Sie ahnen, dass Fromm ihrer existenziellen Wahrheit sehr nahe kommt, und haben bereits eine Vorstellung davon, auf welche Weise sie ein größeres Glück finden werden. Keiner der hier Vertretenen stellt sich gänzlich außerhalb der ökonomischen Zusammenhänge (was sicherlich auch kein Weg zum Glück und ohnehin schlechterdings unmöglich wäre). Sie machen einen oder zwei entscheidende Schritte heraus, entledigen sich damit aber schon der diffusen Unzufriedenheit, die viele andere ebenso empfinden.
Sie sind diejenigen, die das gute Leben aktiv zu suchen begonnen haben und dabei ein erneuertes Wirtschaften und Arbeiten als Teil des guten Lebens auffassen. Sie suchen gute Arbeit und gutes Wirtschaften. Sie geben die überkommene Gleichung gutes Leben = (materieller) Wohlstand auf, deren reductio ad absurdum durch die Realitäten unter ihren Augen fortdauert. Zu ihren Zielen passt es besser, nach dem Motto zu handeln: »Nichts Vorgefertigtes akzeptieren. Nach eigenen Vorstellungen leben und nach eigenen Kräften.« 161 Der Schritt aus den parat gehaltenen, mutmaßlich selbst bestimmten Funktionsrollen (Festangestellter, Konsument, Wahlbürger und so weiter) in das selbst organisierte Leben ist gleichzeitig einer aus der relativen Bequemlichkeit in die größere Anstrengung, aus der Passivität in die Aktivität, aus einer Struktur in aus eigener Initiative Geschaffenes, das so vielleicht noch nirgends existiert. Wenn Michael Hartl sagt, gemeinsam mit Lisa Pfleger einen Kleinsthof zu beziehen sei eine »logische Konsequenz aus unseren Überzeugungen« gewesen, so ist ihm bewusst, dass die Mehrheit weiterlebt, ohne die Konsequenzen jemals bis zum logischen Ende zu bringen. Selbst organisiertes gutes Leben ist ohne Mut und Selbstaktivierung nicht zu haben.
Ganz ohne Rezepte, die ihnen anweisen müssten, wie es aussehen sollte, finden die Selbstorganisierer das gute Leben, indem sie hingehen und tun. Zwar gibt es Vorbilder für selbst organisiertes oder solidarisches Wirtschaften (Selbstversorgerhöfe, Genossenschaften, Tauschsysteme und so weiter), dennoch ist jede Bewegung aus den gewohnten Strukturen heraus für den Einzelnen ein Experiment mit etwas nie Dagewesenem. Man spielt Versuch und Irrtum mit einem Teilder eigenen Existenz. Die Richtung ist »raus« aus dem alten, das Ziel heißt »rein« ins gute Leben.
Die konkreten Anlässe für den Einstieg in die Selbstorganisation sind dabei selten daseinsumfassend, sondern oft sehr spezifisch. Nahezu universell ist das Motiv, die Dinge selbst in die Hand nehmen zu wollen. Am buchstäblich greifbarsten wird dieser Wunsch in der Eigenarbeit, in der konkrete Gegenstände selbst gestaltet und hergestellt werden, ebenso in der Selbstversorgung. Den Akteuren ist wichtig, dass sie das Produkt erst durch die Arbeit zu ihrem eigenen machen, viel mehr als bei einem Kaufakt. Der Erzeugerstolz, die Mühe, die Kontrolle über das Wie, Wann und Warum sowie die Erfahrung des eigenen Könnens machen das Erzeugte wertvoll. Und nicht bloß das Erzeugte: Das Selbstwertgefühl steigt durch die Erfahrung der Selbstwirksamkeit. Viele der Eigenarbeiter suchen daher aktiv Gelegenheiten, ihre Fähigkeiten zu erweitern, Potenziale auszureizen oder neu zu entdecken.
Auf der anderen Seite möchten die Selbstorganisierer ihr Leben neu einrichten. Wenn sie etwa ihr Arbeitsmodell so arrangieren, dass sie mit drei oder vier Jobs parallel hantieren können, wie einige der Arbeitssammlerinnen es tun, dann gehört dazu auch, die Balance zwischen der Zeit für den Job und der unvernutzten Zeit (die berühmte »Work-Life-Balance«) immer wieder neu auszutarieren. Sich die Tage und Stunden frei einzuteilen ist ein ausgesprochenes Ziel auch bei Selbstversorgern. Das kann bedeuten, die starre Einteilung zwischen »Arbeitszeit« auf der einen und »Freizeit« auf der anderen Seite ganz aufzugeben, die Arbeit nicht bloß als lästige, aber notwendige Mühsal zu sehen und die Befriedigung nicht außerhalb zu suchen, sondern in der Arbeit. Selbst organisierte Tätigkeit gehört zum Leben und
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