Einfach ein gutes Leben
ihnen hat das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, bei manch einem ist das Gefühl diffus, mancher andere kann es sehr genau artikulieren und seine Ursachen benennen. Und sie alle wollen nicht länger stillhalten und wider besseres Wissen weitermachen wie bisher.
Nichts Vorgefertigtes akzeptieren
Überraschend ist, dass sich die Akteure in diesem Buch in ihrer Herkunft, politischen Ausrichtung oder Weltauffassung auf keinen gemeinsamen Nenner bringen lassen. Sie kommen aus allen möglichen sozialen Schichten, aus der Mitte oder von den Rändern der Gesellschaft. Ihre Bedürfnisse sind nicht bloß die von wenigen, ohnehin schon randständigen Figuren. Sie kommen ebenso aus der Mitte der Gesellschaft, sie könnten jeden und jede betreffen, weil es universelle Bedürfnisse sind: nach gesundem Essen, nach lebensgerechten Gütern und nach selbstbestimmter Tätigkeit, nach Gemeinschaftsgefühl oder nach von Bürgerschaften eingerichteten Lebensräumen. Ähnlich wie die Protestbewegten anno 2010 – Atomkraftgegner, Hartz-IV-Kritiker, Lobbygegner und so weiter – eint die Akteure in diesem Buch der Ruf »So geht es nicht weiter!«. Sie meinen mit dem Ruf zunächst sich selbst und ihre unmittelbare Umgebung, die sie nach ihren Bedürfnissen zu verändern beginnen – doch im Hintergrund steht der Gedanke an das große Ganze.
Ihr Thema – das haben die vielen verschiedenen Beispiele bis hierhin gezeigt – ist das gute Leben. Ihre Ahnung ist, dass sie ihr jeweils eigenes gutes Leben unter den Bedingungen, die ihnen die Marktwirtschaft in ihrer jetzigen Form setzt, nicht erreichen werden. Dazu produziert die moderne Ökonomie zu viele Bedürfnisrisiken, blinde Flecken und Hindernisse, die einem guten Leben im Weg stehen. Um in Nussbaums Terminologie zu sprechen: Die kapitalistische Marktwirtschaft heutigen Zuschnitts lässt einige unserer Grundbefähigungen auf einem zu niedrigen Niveau, als dass sie wirklich günstige Voraussetzungen für das gute Leben schaffen würde. Anlass genug, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.
Die Mittel und Vorstellungen, mit denen das geschieht, sind zum Teil sehr alt (wie etwa das Genossenschaftsmodell), zu einem anderen Teil noch sehr jung oder abhängig von historisch noch frischen Innovationen vor allem in der Informations- und Kommunikationstechnologie (Social Commerce oder Fabbing zum Beispiel). Das unterschiedliche Alter ist letztlich ein Symptom des Umstandes, dass sich Menschen zu allen Zeiten Gedanken über das gute Leben und darüber, wie sie es erreichen können, gemacht haben. Wann immer Existenzen unter Druck geraten, kommt das Thema offenbar wieder zu neuer Blüte: Die ersten Genossenschaften beispielsweise sind eine Reaktion auf die zunehmende Sorgeüber die mangelnde Versorgung der Arbeiter. Es scheint als Motiv nie richtig vergessen worden zu sein. Eine gute Voraussetzung, um heute daran anzuschließen: Ideen sind bereits da, niemand muss das Rad vollständig neu erfinden.
Erich Fromm, einer der Hauptvertreter der humanistischen Psychologie, ist durch seine These bekannt geworden, die kapitalistische Marktwirtschaft und die mit ihr identifizierbaren Geisteshaltungen (Fokus auf das Materielle, auf Wettbewerb, Individualismus) förderten das Unglück der Menschen und führten zu einer Vermehrung von psychischen Störungen. Die Richtigkeit seiner Annahmen lässt sich nur schwer letztgültig nachweisen, wenn diese auch inzwischen durch eine beeindruckende Menge an empirischem Material unterfüttert werden. 160 Dieses Material kann demnach als Hinweis verstanden werden, dass die kapitalistische Marktwirtschaft bis heute ihren wichtigsten »Auftrag« nicht erfüllt hat: Wirtschaft ist im Grunde nichts weiter als die Summe aller Anstrengungen, die Menschen vollbringen, um ihre alltägliche Existenz zu sichern und sich mit Gütern zu versorgen, derer sie bedürfen und die sie sich wünschen. Das gute Leben resultiert demgemäß aus Wirtschaftshandlungen: aus dem Herstellen, Anbauen, Tauschen, Anbieten, Entgegennehmen, Bewerten und so fort. Der Knackpunkt liegt in der Bestimmung dessen, was denn ein gutes Leben sein soll. Die kapitalistische Marktwirtschaft hat noch in ihrer Wiege liegend die Antwort vermeintlich abschließend im »Wohlstand« gefunden: Glück ist, wenn alle viel haben von dem, was sie brauchen und haben wollen. Dass dieser Begriff vom guten Leben jedoch zu kurz greift, ist mittlerweile klar.
Es geht an dieser Stelle gar nicht darum, der bestehenden
Weitere Kostenlose Bücher