Einfach ein gutes Leben
Kreativarbeiter nach der »Creative City«-Logik, die sich die Großstädte angeeignet haben. Die Aktivisten, größtenteils selbst »Kreative«, stört die einseitige Sicht auf sie als Rohstoff für Hamburgs Markenbildungsprozess. Offensichtlich beeinflusst durch die Thesen des US-amerikanischen Ökonomen Richard Florida, auf den der Begriff »Creative City« zurückgeht, wüssten die Städte nichts mit ihren schöpferisch Tätigen anzufangen, als sie kurzzeitig vor den Attraktivitätskarren zu spannen, um sie danach fallen zu lassen. Die Künstlerin als Lockstoff – »Recht auf Stadt« sagt Danke. 156
Andrej Holm vom Institut für Humangeografie der Goethe-Universität Frankfurt hat seit Langem ein waches Auge auf Gentrifizierungsprozesse in Deutschland. Er beobachtet, dass es in letzter Zeit vor allem Finanzinvestoren sind, die einen Teil ihrer Geschäfte in Gentrifizierungskampagnen verlegen. Die Eigentümerschaft von Wohnungen und Gewerberäumen wandelt sich in der Folge immer stärker von einer renten orientierten, das heißt die Immobilie als langfristiges Anlageobjekt auffassende, in eine rendite orientierte, die die Immobilien für möglichst schnelle Aufwertung und profitträchtigen Wiederverkauf haben will. In den immer wiederkehrenden Krisen am Finanzmarkt – am deutlichsten in der Hypothekenkrise von 2008 – erweist sich der Teilmarkt der Immobilienspekulationen als besonders attraktiv für die Anleger, da er noch vergleichsweise hohe Renditen abwirft. Die höchsten aber werfen oft die Luxuswohnbereiche in frisch gentrifizierten Vierteln ab. Sich wiederholende Finanzkrisen führen, mit anderen Worten, in der Konsequenz zu immer neuen Auf- und Abwertungszyklen ganzer Stadtteile. 157 Der menschenblinde Finanzkapitalismus treibt die Gentrifizierung und damit den Verlust an Befriedigung des Bedürfnisses nach intaktem und erschwinglichem Lebensraum an wie ein Durchlauferhitzer.
So gewaltig der Gegner scheint, so elementar sind doch die Forderungen der »Recht auf Stadt«-Aktivisten. Sie wollen, dass jeder dort wohnen und sein Gewerbe treiben kann, wo er sicheingerichtet hat, ungeachtet von Markenbildungswünschen und Investmentinteressen. Sie wollen den Zugriff auf ihre Stadt beibehalten und den der großen Politik und fremder Immobilienbesitzer klein halten. Die Einführung von stadtteilspezifischen Mietobergrenzen wäre ein großer Schritt im Sinne der »Rückeroberung des Stadtraums« durch die Bürger, weil er ein Kernproblem beseitigen würde, ohne das es eine Gentrifizierung überhaupt nicht geben könnte: die frei verhandelbaren Immobilienpreise. Mietpreisbindungen gab es schon einmal, beispielsweise Mitte der 90er-Jahre am Berliner Prenzlauer Berg. Dort wurden sie bald wieder abgeschafft. Es ist angesichts der übergroßen Klebekraft des Glaubenssatzes vom freien Markt fraglich, ob sie sich langfristig durchsetzen ließen.
Auf Schwierigkeiten stoßen die »Recht auf Stadt«-Initiativen genug. Die größten stehen ihnen in den eigenen Vierteln gegenüber, etwa »wenn die Bezirkspolitik hinter verschlossenen Türen ihre Pläne festzurrt. Da werden Sachen ohne Beteiligung der Bürger ausgedealt. Es gibt natürlich die formalen Verfahren zur Bürgerbeteiligung, aber da stellt man immer wieder fest: Der Drops ist schon gelutscht, das Eckkonzept steht schon, es geht nur noch um Kosmetik oder am besten darum, Akzeptanz einzuholen.« Niels Boeing sieht dennoch Land. Gerade hat »Recht auf Stadt« eine »Arbeitsgruppe Demokratie« gegründet, die sich mit Verfahren zu einer direkteren Bürgerbeteiligung befasst. »Warum nicht den Quartieren mehr Selbstorganisation ermöglichen? Ich könnte mir vorstellen, mit zäher Arbeit in zehn Jahren ganz neue Formen der Demokratie auf der unteren Ebene auszuprobieren.« Die Idee bürgerschaftlicher Selbstbestimmung wandert in die Kommunalpolitik ein.
Die Erfolge geben ihr recht. Die Stadt Hamburg hat das Gängeviertel im Westen der Innenstadt von den Investoren zurückgekauft, die es erst kurze Zeit zuvor zugeschlagen bekommen hatten. Eine der ersten gemeinsamen Aktionen von »Recht auf Stadt«, allen voran der Gruppe »Komm in die Gänge«, war die friedliche Besetzung des Quartiers. Mit einer Kunstausstellung wollten die ansässigen »Kreativen« auf die kommende Gentrifizierung ihrer wenigen Gebäude und derzugehörigen Höfe aufmerksam machen, die ohnehin bereits vollständig von gläsernen Bürotürmen eingekreist sind. Mit Erfolg: Der Protest zog solche
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