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Einfach Freunde

Einfach Freunde

Titel: Einfach Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdel Sellou
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spazieren führten wie harmlose Hunde – was heute zum Alltag gehört –, aber nach und nach bildeten sich die ersten Gangs, die sich gegenseitig mit allen Mitteln einschüchtern wollten. Man musste schließlich sein Revier verteidigen. Maghrebiner und Schwarze schlossen sich nicht mehr so spontan zusammen. Das Aufkommen der Islamischen Heilsfront in Algerien jagte den Franzosen Angst ein. In den Zeitungen war von barbarischen Verbrechen die Rede, man fing an, uns misstrauisch zu beäugen und fast wie Wilde zu behandeln. Ich musste mir wirklich schleunigst ein neues Umfeld suchen.

    In Corbeil-Essonnes habe ich einen Junkie kennengelernt, der ebenfalls im offenen Vollzug ist. Um zur Arbeit zu fahren, hat er einen Citroën AX gestohlen. Ein paar Wochen lang setzt er mich jeden Morgen in Paris ab. Dann verschwindet er und das Auto mit ihm. Ich fahre wieder mit dem Vorortzug. Inzwischen bin ich wie die tüchtigen Arbeiter, die mich vor knapp zwei Jahren beim Schlafen auf der Sitzbank beobachtet haben.
    In seiner Filiale im Quartier Latin weiß Jean-Marc, der Manager, nicht weiter. Seine Ausfahrer kommen oft zu Fuß zurück, mit leeren Taschen. Sie behaupten, man hätte sie vor irgendeiner Haustür ausgeraubt. In Wahrheit haben sie das Mofa verscherbelt, oft für Shit, den Erlös behalten und die Pizzas mit ihren Kumpels geteilt. Wie soll man ihnen das nachweisen? Jean-Marc durchschaut das Spiel, aber ihm sind die Hände gebunden. Man kann keinen Ausfahrer feuern, weil er ausgeraubt wurde. Man kann keinen anzeigen, bloß weil man ihm nicht glaubt. Jean-Marc seufzt schwer und bestellt bei der Firmenzentrale ein neues Zweirad, das bitte schnellstmöglich geliefert werden soll. Ich beteilige mich nicht an den schäbigen Coups meiner Kollegen, ich sag auch nichts dazu, aber so geht’s nicht weiter. Ich habe mir eine hübsche kleine »Umstrukturierungsmaßnahme« überlegt, doch solange diese Möchtegern-Meisterdiebe ihr Unwesen treiben, kann ich meine Pläne nicht in die Tat umsetzen. Ich spreche den Manager an.
    Â»Deine Leute verkaufen dich für blöd, Jean-Marc.«
    Â»Ich weiß, Abdel, aber ich kann nichts tun!«
    Â»Es ist ganz einfach, pass auf. Jetzt ist es zehn. Du rufst sie alle nacheinander an und sagst ihnen, dass du sie heute nicht brauchst. Morgen und übermorgen machst du’s genauso. Und in drei Tagen schickst du ihnen die Kündigung, von wegen sie wären nicht zur Arbeit erschienen oder so was in der Art.«
    Â»Na schön, aber wer übernimmt in der Zwischenzeit die Lieferungen?«
    Â»Ich kümmer mich darum.«
    Polizisten können gegen Straßendiebe oft nur wenig ausrichten, weil sie nicht dieselben Mittel anwenden. Sie rechnen nicht mit ihren üblen Tricks und werden von ihren Einfällen überrumpelt, es ist ein ungleicher Kampf. Aber ich bin bestens auf die Auseinandersetzung mit den kleinen Ratten vorbereitet. Kein Wunder: Ich bin einer von ihnen! Ob sie nun in La Chapelle, Saint-Denis, Villiers-le-Bel oder Mantes-la-Jolie aufgewachsen sind, ist egal. Wir haben alle dieselbe Schule besucht: die Straße.
    Ich hab im Nu für Ordnung gesorgt. Plötzlich klagen die Ausfahrer nicht mehr über Überfälle, wer hätte das gedacht, auch die Tageseinnahmen werden jeden Abend ohne Verluste abgeliefert. Und zwar von Yacine, Brahim und ein paar anderen zukünftigen Komplizen. Sie alle spielen mit und verhalten sich ein paar Wochen lang einwandfrei. Sie wissen, dank mir werden sie ihren Verdienst bald mühelos aufstocken können. Bis es so weit ist, stopfen sie sich mit Gratispizzas voll und sind auch damit schon ganz zufrieden!
    In meiner Kindheit gab es eine Serie, die ich sehr mochte: Das A-Team . Im Fall der Pizzeria bin ich gleichzeitig Face, der hübsche Kerl, dem alles gelingt, und Hannibal, der am Ende jeder Folge sein berühmtes Motto zum Besten gibt: »Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert!« Inzwischen übernehme ich die Urlaubsvertretung für Jean-Marc. Und als er zum Leiter einer anderen Filiale befördert wird, übernehme ich seinen Platz, und alle wünschen mir Glück. Ich habe freie Bahn.
    1991 wird noch auf Papier abgerechnet, von Hand. In meiner kleinen Pizzeria verwenden wir sogenannte Bonbücher, sie bestehen aus lauter Doppelseiten mit durchnummerierten Abrissen; mit Hilfe eines eingelegten Pauspapiers wird jede Bestellung automatisch kopiert. Das

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