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Einfach Freunde

Einfach Freunde

Titel: Einfach Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdel Sellou
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ich wie diese anständigen Leute werden, die ich doch für Vollidioten hielt. Zu allem Überfluss begann die Pizzeria-Kette, sämtliche Filialen mit Computern auszustatten. Das bedeutete das Aus für mein Bonbuch-System. Ich bat um meine Kündigung, dann bin ich mit meinem Beschäftigungsnachweis beim Arbeitsamt stempeln gegangen. So konnte ich ohne die kleinste Anstrengung zwei Jahre lang Bezüge einstreichen, die fast so hoch waren wie mein offizielles Gehalt. Ich hatte überhaupt keine Skrupel, das Sozialsystem auszunutzen.
    Damals war ich so wie Driss, meine Figur im Film Ziemlich beste Freunde . Unbekümmert, fröhlich, faul, selbstverliebt, aufbrausend. Aber nicht wirklich böse.

III

PHILIPPE UND BÉATRICE POZZO DI BORGO

19
    Hamburger verkaufen. Paletten vom LKW in die Lagerhalle, von der Lagerhalle zum LKW befördern. Und das Gleiche wieder von vorn. Einen Benzintank füllen, das Rückgeld aushändigen, das Trinkgeld einstecken. Wenn es eins gibt. Nachts ein menschenleeres Parkhaus bewachen. Erst gegen den Schlaf ankämpfen. Dann schlafen. Feststellen, dass das Resultat dasselbe ist. Strichcodes in den Computer eingeben. Verkehrsinseln begrünen. Im Frühling die Stiefmütterchen durch Geranien ersetzen. Sofort nach der Blüte den Flieder schneiden … Drei Jahre lang habe ich alle möglichen Jobs ausprobiert. Komisch, aber ich habe mich zu keinem wirklich berufen gefühlt. Ich folgte den Vorladungen zum Arbeitsamt genauso, wie ich zwischen sechzehn und achtzehn zum Richter gegangen bin. Sich sanft und gefügig zu zeigen war die unabdingbare Voraussetzung, um sein Arbeitslosengeld zu bekommen. Hin und wieder war etwas mehr Einsatz gefordert. Als Zeichen für den guten Willen. Nichts, was wirklich wehtut. Hamburger verkaufen halt … Die Bulette zwischen die Brötchenhälften klemmen. Den Mayo-Spender runterpressen. Beim Senf nicht zu doll drücken. Ich hab das Handtuch schnell geschmissen. Ich schnappte mir eine Familienportion Pommes, schüttete eine Kelle Ketchup drüber und verabschiedete mich mit einem breiten Lächeln vom Team. Sie stanken alle nach Bratfett. Danke, ich verzichte.
    Ich sollte mir Arbeit suchen. Aber ich suchte nicht sehr verzweifelt, so blieb mir ziemlich viel freie Zeit. Tagsüber und nachts feierte ich weiter mit meinen Kumpels, die meinen, sagen wir, ungezwungenen Lebenswandel teilten. Sie malochten vier Monate, das Minimum, um Anspruch auf Unterstützung zu haben. Dann stempelten sie beim Arbeitsamt und schlugen sich ein, zwei Jahre so durch. Strafbar machten wir uns nicht mehr, weder sie noch ich, oder kaum. Es kam natürlich vor, dass wir nachts auf einer Baustelle aufkreuzten, um mit einem Schaufelbagger herumzuspielen, oder im Bois de Boulogne ein Motorroller-Rodeo veranstalteten, aber wir taten nichts, was brave Mitbürger aus der Ruhe aufgeschreckt hätte. Wir gingen ins Kino. Wir betraten den Saal durch den Notausgang, verließen ihn vor dem Abspann des Films. Ich war beinahe ein anständiger Kerl geworden. Zum Beweis: Einmal trat ich meinen Platz einer hübschen Mama ab, die sich mit ihrem Söhnchen RoboCop 3 ansehen wollte. Der Kleine trug ein Paar hübsche knöchelhohe Sneakers, amerikanische, aus Leder. Für sein Alter hatte er recht große Flossen, und die Treter hatten es mir angetan. Um ein Haar hätte ich ihn gefragt, wo er sie gekauft hatte. Auf die Idee, sie ihm wegzunehmen, bin ich nicht mal gekommen, so einfach ist das. Danach habe ich mir ein kleines bisschen Sorgen gemacht: Na, Abdel, biste plötzlich alt oder was? Ich habe mich aber gleich wieder gefasst. Ich brauchte diese Basketballschuhe nicht wirklich …
    Die Vorladungen vom Arbeitsamt wurden zu meinen Eltern geschickt. Ich fand die Post in der Diele auf einem Heizkörper, dort, wo mich ein paar Jahre früher die Briefe aus Algerien erwartet hatten. Die Verbindung zwischen meinem Heimatland und mir war schon seit langem abgebrochen. Mit Belkacem funktionierte sie schlecht wegen der politischen Lage in Algier. Wenn er die Nachrichten schaute, zuckte mein Vater mit den Schultern, überzeugt, dass die Journalisten die Lage wieder mal dramatisierten. Er glaubte nicht, dass die Intellektuellen mundtot gemacht wurden, er glaubte nicht an die Folter, an die Vermissten. Er wusste nicht mal, dass es da unten Intellektuelle gab. Was ist das überhaupt, ein Intellektueller? Einer, der scharf

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