Einfach hin und weg
etwas anstrengend und sie gönnen sich einen Tag Pause. Also gehe ich alleine.
Nach drei Etappen erreiche ich mein nächstes Ziel und am 25. Juni stehe ich am Kap.
Hier gibt es kein Weiter mehr. Vor mir liegt die riesige Wasserwüste des Atlantischen Ozeans, unter mir der westlichste Zipfel des europäischen Festlands. Ich setze mich auf eine der Klippen und betrachte die aufkommende Dämmerung. Die Sonne hat sich schon lange hinter düsteren Wolken versteckt. Trotzdem bietet sich ein eindruckvolles Bild. Auf das Verbrennen eines Kleidungsstückes, wie es schon seit dem Mittelalter üblich ist, verzichte ich. Der Leuchtturm lässt seinen Lichtstrahl über Meer und Gestade gleiten. Ich bin am Ende des Weges angekommen. Erst jetzt wird mir die Symbolik klar, dass ich meine Reise nach fast 1.000 km am Meer bei einem Leuchtturm beschließe.
Pilgern heißt so viel wie mit den Füßen beten.
Ja, ich war dem lieben Gott manchmal sehr nahe und am Ende danke ich Ihm mit dem 23. Psalm, den ich seit Jahrzehnten nicht mehr aufgesagt habe, aber dank eines strengen Pastors während meiner Kindheit noch immer auswendig kann.
Auf dem Rückweg zur Herberge finde ich am Meer eine kleine Jakobsmuschel. Im Mittelalter wurde sie in Santiago von den Pilgern gekauft oder in Finisterre am Strand gesammelt und zu Hause als Beweisstück vorgezeigt, dass sie wirklich den kompletten Weg gegangen sind. Jetzt bin also auch ich ein „wahrer Jakob“.
Morgen gehe ich weiter nach Muxia und dann geht es über Santiago de Compostela wieder in Richtung Heimat.
Der Weg war das Ziel. Gut, jetzt am Ziel zu sein.
Und doch! Er wird mir fehlen, mein Camino.
Nachlese
Seit fast vier Wochen bin ich zu Hause.
Es ist schwierig, sich wieder an den normalen Trott zu gewöhnen. In den ersten Nächten träumte ich nur vom Camino. Ich wanderte und wanderte. Vorwärts, vorwärts. Keine speziellen Personen, Orte oder Landschaften vor Augen. Ich wanderte und musste mich erst einmal entwöhnen.
Weg von Schlafen, Essen, Trinken, einen Fuß vor den anderen setzen, den Blick nur auf die Straße, in Gedanken irgendwo zwischen rosa Wölkchen und Höllenqualen an den Füßen.
Nach fast zwei Wochen meinte meine Frau, ich wäre erst halb durch die Türe und sollte doch bitte ganz eintreten.
Wie gut, dass ich ohne Erwartungen losgezogen bin. Vieles hat mich überrascht und berührt. Kein Buch der Welt konnte mir vorher das erzählen oder geben, was ich erlebt habe. Obwohl er durch Presse und Fernsehen und hunderte von Internetartikeln geistert, erschließt der Jakobsweg sich erst während des Laufens.
Die Faszination des Pilgerns liegt in der völlig anderen Art des Lebens. Eine Form der Askese, der Verzicht auf vieles, was sonst als unentbehrlich gilt. Pilgern mit wenig Gepäck führt dazu, sich auf das Wenige zu besinnen, was wirklich wichtig ist, weg vom Überfluss. Wenig Gepäck auf dem Rücken und auch wenig Gepäck im Kopf! Zurück zu den Quellen des Lebens, zurück zur Natur, auch wenn die Form des heutigen Pilgerns nicht mehr viel mit Askese zu tun hat.
Auf dem Jakobsweg lernte ich, Menschen neu einzuschätzen. Ich habe erfahren, wie sehr man auf den anderen angewiesen ist. Alleine hätte ich den Weg nie geschafft.
Ich habe Pilgern als Abenteuer innerer Erfahrung erlebt, als Stille. Ich habe Pilgern als fröhliches Zusammensein mit anderen Leuten bei einer Flasche Wein erlebt mit oberflächlichen Diskussionen. Das ist das schöne: Der Camino ist voller Gegensätze.
Ich hätte die 5 Wochen anders nutzen können, als unzählige Blasen zu verarzten oder im strömenden Regen durch den Matsch zu stampfen. Nein, ich wollte es so.
Ich habe Erfahrungen gemacht die ich nicht missen und die ich hier auch nicht näher beschreiben kann und möchte.
Ich habe mir unterwegs Fragen gestellt. Auf viele habe ich eine Antwort gefunden, einige blieben unbeantwortet und bleiben wohl auch weiterhin offen.
Ich habe das gesehen, was sonst im normalen Leben in der Flut der Gedanken und Bilder untergeht. Ich habe mein Herz geöffnet und vieles zugelassen. Die Wanderung auf dem Jakobsweg war eine der besten Erfahrungen, die ich jemals in meinem Leben gemacht habe. Und ich habe in den 60 Jahren meines Lebens vieles erleben und erfahren dürfen.
Am Ende meiner Reise nach Fisterra, als ich abends auf dem Felsen saß, bemerkte ich, wie sich jemand neben mich setzte. Es war ein Mitarbeiter des Heiligen Jakob, der mir auf seine eigene Art ein paar Worte ins Ohr
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