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Einfach losfahren

Einfach losfahren

Titel: Einfach losfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
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ich leicht humpelte. Keiner merkte, dass ich mir höllisch weh getan hatte, als ich auf die Steine fiel. Aber ich musste einfach so tun, als wäre nichts, um das Publikum nicht zu enttäuschen – und weil zu viele Mädchen am Spielfeldrand standen. Jedenfalls war die Sache es wert, denn nach diesem Tor wurde ich ein paar Tage lang auf der Straße immer mal wieder als Baggio angesprochen.
    Nicht zuletzt dank dieser akrobatischen Leistung kannte ich schon bald eine Menge Einheimische: die Arbeiter auf der Posada, die Jungs, mit denen ich auf dem Platz Fußball spielte, Sadis Verwandtschaft und die, mit denen ich in der kleinen Bar ein Bier trank. Wenn ich ein Geschäft betrat, um einzukaufen, wurde ich begrüßt wie ein alter Bekannter. Ich blieb auch deshalb nicht lange ein Fremder, weil beinahe jeder im Dorf wusste, dass ich ein Freund von Federico war.
    Immer besser lebte ich mich ein, und es war ein Leben, das sich vollkommen von meinem bisherigen unterschied.
    Vor dem alten Leben war ich in gewissem Sinne geflohen, weil es mir einfach nur noch miserabel gegangen war. Ich hatte allerdings zu keinem Zeitpunkt darauf gehofft, dass durch das Weggehen auch mein Schmerz weggehen könnte. Im Gegenteil, ich wusste, dass er mein Schatten war und mir überallhin folgen würde, bis ich ihn verarbeitet und umgewandelt hätte. Vor allem aber musste ich mich ihm stellen.
    Obwohl alles glattging, spürte ich eines Tages eine gewisse Unruhe in mir aufkeimen. Die Unbeschwertheit war weg. Und ich hatte etwas Komisches geträumt. Ich saß bei meinem Vater und meiner Schwester zu Hause am Küchentisch, und wie ich so kaute, wurde mir plötzlich bewusst, dass ich die Zähne verlor. Sie fielen einfach aus, ohne dass es blutete. Sie purzelten mir aus dem Mund, und als ich mich bückte, um sie aufzuheben, wurde plötzlich Wasser in großen Mengen ins Haus gespült und riss erst meine Zähne mit sich und dann alles andere, mich eingeschlossen. Als ich aufwachte, strampelte ich mit den Beinen wie beim Schwimmen.
    Mal ganz abgesehen von dem Traum – mir wurde langsam bewusst, dass die anfängliche Begeisterung nachließ und die Probleme wieder hochgespült wurden. Die schlechten Gedanken klopften wieder an meine Tür. Angesichts der Flut des Neuen hatte ich zu lange so getan, als wäre nichts. Anfangs hatte es mir gefallen, es war, als ob ich mich betrunken hätte, aber jetzt ließ der Rausch nach, und meine Situation wurde mir bewusst. Ich hatte keine Klarheit in mein Leben gebracht. Keins der Probleme war ich angegangen, und verändert hatte ich mich auch nicht, ich hatte mir nur eine Auszeit von mir selbst genommen, und jetzt war der Ausflug zu Ende.
    Ich war mir nicht sicher, wo ich stand und was ich gerade tat. Es war nicht wie früher, als ich schon alles wusste, wenn ich jemandem begegnete, weil ich seit Jahren immer dieselben Menschen sah. Früher wussten die Leute, wer ich war, welches Auto ich fuhr, was ich beruflich machte, sie kannten meine Familie und wussten, an welchen Tagen ich ins Fitnessstudio ging. All das war ich hier nicht mehr. Hier war ich nichts. Rein gar nichts.
    Ich hatte immer das »Bekannte« gesucht, die Sicherheit, die Kontrolle über alles, aber jetzt lebte ich plötzlich ohne Gewissheiten. Im freien Fall. Und es war gar nicht mehr so faszinierend wie in den ersten Tagen, das Indiana-Jones-Gefühl war verflogen.
    Früher hatte es mich beruhigt, wenn ich abends in meine Wohnung zurückkehrte, zu meinen Sachen. Mein Bett, meine Anlage, mein Computer, meine Tasse. Alles Dinge, zu denen ich seit Jahren eine Beziehung hatte. Alles Dinge, an die sich meine Persönlichkeit unbewusst klammerte, die mir wie ein Spiegel sagten, wer ich war. In diesen Tagen begriff ich, wie raumgreifend die Vorstellung war, die ich von mir selbst hatte, wie zudringlich, und dass sie sich stets dazwischendrängte und mir den Blick auf die Welt versperrte. Ich hatte nie verstanden, dass ich mich fortbewegen musste. Von mir selbst fortbewegen.
    Aber nun hatte ich praktisch alles, was mich definierte, ausgelöscht. Mein Leben entwurzelt. Ich durchlebte den Zerfall meiner persönlichen Existenz.
    Als hätte ich mich verfahren und würde nun unbekannte Orte entdecken. Orte, die man nur entdeckt, weil man sich verfahren hat. Ich war jetzt in der Phase, in der Odysseus sich einen Niemand genannt hatte. Es machte mir Angst, mich fernab der Bahnen zu bewegen, die ich kannte, durch neue, unbekannte Landschaften. Wieder hatte ich Angst. Ich hatte

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