Einfach losfahren
mich verstrickt. Selbst verkeilt. Als Kind hatte ich einmal durchs Balkongitter geschaut und war mit dem Kopf steckengeblieben. Mein Großvater musste mich befreien. Zwischen die Stäbe zu gelangen war kein Problem gewesen, aber am Rückzug hinderten mich meine Ohren. Jetzt steckte ich wieder fest, in einem unsichtbaren Geländer. Ich hatte hinausgeguckt, um zu sehen, was auf der anderen Seite war, und konnte nun nicht mehr zurück.
Schon seit Tagen merkte ich ein leises Unwohlsein, aber an diesem Morgen war es aufgeplatzt. »Was habe ich mir nur für einen Unsinn in den Kopf gesetzt?« Den ganzen Tag über dachte ich darüber nach, nach Hause zurückzukehren, mein früheres Leben wiederaufzunehmen. Den Kopf aus dem Geländer zurückzuziehen. Sadi merkte, dass etwas nicht stimmte, aber auch mit ihm sprach ich nicht darüber.
Ich versuchte herauszufinden, wann der nächste Flieger nach Italien ging. Das sogenannte Reisebüro hatte geschlossen und würde erst am nächsten Tag wieder öffnen, und das beunruhigte mich noch mehr, denn es gab mir das Gefühl, in einem Käfig eingesperrt zu sein. Ich wollte jetzt nach Hause. Sophie ging ich aus dem Weg, ich schämte mich.
Abends konnte ich nicht einschlafen. Ich drehte mich im Bett wie ein Hühnchen am Spieß. Irgendwann wurde es richtig schlimm. Ich konnte nicht mehr richtig atmen. Ich schaffte nur noch kurze, schnelle Atemzüge. Es ging mir miserabel. Ich hatte Angst. Ich glaubte, ich müsse sterben. Ich wusch mir das Gesicht. Versuchte zu trinken. Es wollte nicht hinunter. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Schließlich klopfte ich an Sophies Tür: »Entschuldige die Störung, aber ich bin krank… ich bin krank, ich weiß nicht, was ich tun soll, ich krieg keine Luft, gibt es hier vielleicht einen Arzt oder so…? Ich weiß nicht, bitte hilf mir… das ist mir noch nie passiert, ich weiß nicht, was los ist…«
Sie sagte, ich solle mich beruhigen, ins Haus kommen und mich setzen. Aber ich konnte mich nicht beruhigen, und setzen schon gar nicht. Ich konnte nicht mal ins Haus treten.
»Warte einen Moment. Ich zieh mich an und bringe dich zu jemandem, der dir helfen kann.«
Zu Fuß machten wir uns auf den Weg ins Dorf. Die Straße war leer, kein Mensch zu sehen. Die ganze Zeit entschuldigte ich mich bei ihr, aber Sophie sagte, ich brauchte mich nicht zu entschuldigen.
Im Dorf blieb sie vor einer pastellgrünen Tür stehen. Sie klopfte, und nach einer Weile erschien eine dicke Schwarze an der Tür. Sie begrüßte Sophie herzlich und fragte, was passiert sei. Dann ließ sie uns herein.
Drinnen wurde ich noch ängstlicher und unruhiger. Ich hatte eine Ambulanz oder etwas Ähnliches erwartet. Wenn ich krank bin, gehe ich lieber ins Krankenhaus, wo es Medikamente gibt. »Bestimmt muss ich gleich einen Hahnenkamm essen und Ziegenpisse trinken«, dachte ich.
Sophie erklärte ihr, was mit mir los war. Tina, so hieß die Matrone, setzte Wasser auf und erkundigte sich über mich. Sie war ganz ruhig und entspannt, und das ärgerte mich, denn sie beachtete mich kaum. Vielleicht hatten sie und Sophie nicht erfasst, dass es mir wirklich dreckig ging. Ich konnte nicht atmen, ich war hochgradig erregt, wahrscheinlich lag ich im Sterben, und diese Frau da tat nichts, sie redete einfach weiter. Ich verstand nicht viel, aber irgendwann hörte ich meinen und dann Federicos Namen. Wahrscheinlich hatte Sophie ihr gesagt, wir seien Freunde gewesen. Ich fragte, worüber sie redeten, und Sophie erklärte mir, Tina habe wissen wollen, wie ich hieß und woher ich kam: »Ich habe ihr erzählt, dass du ein Freund von Federico bist und Mühe beim Atmen hast.«
»Und was hat sie gesagt?«
»Sie wollte wissen, seit wann du hier bist, was du arbeitest, dies und das eben.«
»Was hat das damit zu tun, ich will sie doch nicht um die Hand ihrer Tochter bitten… ich bin krank.«
Plötzlich trat Tina vor mich hin und blickte mir direkt in die Augen. Dann legte sie mir die Hand auf die Brust, genau auf den Solarplexus, auf jenes kleine Loch im Zwerchfell gleich unterhalb der Rippen. Unverwandt schaute sie mir in die Augen, und einen Augenblick lang kam ich mir völlig nackt vor. Als würde sie weiter schauen, durch mich hindurch. Dann sagte sie etwas in ihrer Sprache zu mir.
»Was hat sie gesagt?«, fragte ich Sophie.
»Auf dem Grund deiner Augen sitzt ein Kind und weint.«
Eine Weile massierte sie die Stelle, dann schloss sie die Augen und begann, mit den Fingern kräftig zu kneten und zu
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