Einfach losfahren
und das jetzt mein Lieblingsfoto ist, erinnerst du dich? Viele Dinge, die ich nicht wollte oder die ich nicht mochte, hat er mir erst nahegebracht, durch ihn habe ich sie verstanden, ja sogar liebengelernt…«
»Dasselbe hat er über dich gesagt. Oft hat er mir erzählt, du hättest ihn eine Menge gelehrt – und du denkst das Gleiche über ihn.«
»Hm… ich weiß nur, dass er mein Leben radikal verändert hat, so kurz er auch daran teilhatte. Und weißt du, was das Verrückte ist? Er hat mein Leben zum Positiven verändert. Ich bin froh, dass sich unsere Wege gekreuzt haben. Über Tote sagt man ja immer nur das Beste, aber er war wirklich anders. Für mich ist er nicht tot: Er ist nur gegangen. Wie oft betrachte ich das Meer oder die Straße zum Haus und erwarte, dass er im nächsten Augenblick auftaucht und mich anlächelt. Die Gefühle, die er mir geschenkt hat, die ich dank unserer Begegnung empfunden habe und noch immer empfinde, sind so stark, dass ich, wenn ich es recht bedenke, im Grunde eine glückliche Frau bin. Natürlich wäre es anders besser gewesen, aber ich hätte ihn ja auch gar nicht kennenlernen können.
Ich möchte nicht pathetisch werden und sagen: Alles ist gut, nein, das ist es nicht! Doch hinter dieser absurden Situation steckt etwas Wunderbares, das mir eine seltsame Heiterkeit schenkt. Mir ist, als würde ich liebkost. Vielleicht ist er ganz in meiner Nähe. So war das Leben noch nie.«
Ich verstand genau, was Sophie meinte. Ein schreckliches Ereignis, und doch viele schöne Dinge, die nachfolgen. In diesem Fall sogar ein Kind.
Für mich war Federico eine Art Engel, denn er hatte meinem Leben die richtige Richtung gegeben. Ohne es zu wissen, hatte Federico mich gerettet. Sein Tod hat meine Werteskala, mein Wesen und meine Wahrnehmung der Dinge völlig umgemodelt, vor allem aber hat er mir das Bewusstsein geschenkt, den Schmerz überleben zu können, und wer das erfährt, den schreckt nichts mehr. Man entdeckt, dass man viel stärker ist, als man glaubte.
Einige Monate später gebar Sophie Angelica. Ein prachtvolles Kind, mit lauter dunklen Locken wie sein Vater.
Vor gar nicht langer Zeit hatte mir das Leben Federico genommen, und nun legte es mir sein Kind in den Arm. Ich wusste nicht, ob ich traurig oder froh sein sollte. Aber insgeheim wusste ich sofort, dass ich überglücklich war.
Angelica war ein Wunder.
An den folgenden Tagen versuchte ich mich nützlich zu machen und den guten Onkel zu spielen. Ich war wiedergeboren. Federico und Sophie hatten zwei Menschen das Leben geschenkt.
Und jeder Tag war anders
Als Angelica etwa einen Monat alt war, wurden die Arbeiten an der Posada bis auf ein paar ungeklärte Einrichtungsfragen sowie den fehlenden Telefon- und Internetanschluss endlich abgeschlossen. Das Schlimmste lag hinter uns. Die Zimmer waren schon länger fertig, die Bäder funktionierten, die Küche war bereit, die Elektrik war angeschlossen.
Sophie kümmerte sich um alles, unterstützt von Leuten aus dem Dorf, und ich hatte plötzlich keine Aufgabe mehr. Nach der Eröffnung sollte ich die Posada eine Zeitlang leiten, da die Mutterpflichten Sophie sehr in Anspruch nahmen, und wenn Angelica mindestens drei Monate alt war, wollte ich nach Hause fahren, und Sophie würde mitkommen, um den Großeltern die Enkelin vorzustellen. Erst zu Federicos Eltern nach Italien, dann zu ihren eigenen nach Paris.
Bis zur Eröffnung der Posada war es noch gut einen Monat hin. Und ich hatte nichts zu tun. Ich faulenzte und besuchte Angelica. Ich stellte mich ihr als Onkel Faulenz vor. Ein Scherz, den außer mir keiner kapierte.
Ich wachte morgens auf und hatte einen ganzen freien Tag vor mir. Zum ersten Mal nach langer Zeit tat ich nichts und hatte kein schlechtes Gewissen dabei. Früher hatte ich beim Nichtstun oft das Gefühl gehabt, Zeit zu verlieren, zu vergeuden, nutzlos verstreichen zu lassen. Am Ende konnte ich es gar nicht genießen, ich fühlte mich unwohl und musste sofort etwas tun. Das war manchmal geradezu zwanghaft. In dieser Zeit hingegen, in meinem neuen Ich-selbst-Sein, hatte ich den Zauber des Müßiggangs entdeckt. Ich lebte in Einklang mit der Natur. Ich konnte stundenlang dem Meer zuhören und zuschauen, oder einem Baum, oder ich lag einfach nur da und betrachtete die Gestalt der Wolken und ihre ständige Veränderung.
Es ging mir gut, ich hatte nie das Gefühl, Zeit zu verplempern, im Gegenteil, mir war, als täte ich etwas Sinnvolles. Sinnvoll für mich. Etwas
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