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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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spotte jenes Gottes, der nicht da ist, den Mann aufzuerwecken, der für immer schläft.«
    Ein Schock des Schweigens, und der Demagoge hatte seine Sensation.
    »Das hätten wir wissen können«, schrie Mendoza mit dicker kollernder Stimme, »wenn man Männern wie Ihnen gestattet – «
    Eine neue Stimme schnitt in seine Rede; eine hohe und schrille Stimme mit Yankee-Akzent.
    »Halt! Halt!« schrie Snaith der Journalist. »Da tut sich was! Ich schwör es, ich hab ihn sich bewegen gesehn!«
    Er raste die Stufen hinauf und rannte zum Sarg, während unten die Menge in unbeschreiblicher Ekstase schwankte. Im nächsten Augenblick wandte er ein Gesicht voller Verwunderung über seine Schulter und winkte mit dem Finger Dr. Calderon, der vorwärts hastete, um sich mit ihm zu besprechen. Als die beiden Männer wieder vom Sarg zurücktraten, konnten alle es sehen, daß die Lage des Kopfes sich verändert hatte. Ein Schrei der Erregung stieg aus der Menge und endete dann so plötzlich, als sei er in der Luft abgeschnitten worden; denn der Priester im Sarge stöhnte und richtete sich auf einen Ellenbogen auf und blickte mit trüben und blinzelnden Augen auf die Menge.
    John Adams Race, der bis dahin nur die Wunder der Wissenschaft gekannt hatte, fand sich auch in späteren Jahren nie fähig, das Chaos der nächsten paar Tage zu beschreiben. Ihm erschien es, als sei er aus der Welt von Zeit und Raum gesprengt und lebe im Unmöglichen. Binnen einer halben Stunde hatten sich Stadt und Distrikt in etwas verwandelt, das man seit tausend Jahren nicht mehr gekannt hatte; ein mittelalterliches Volk verwandelte sich durch ein überwältigendes Wunder in eine Menge von Mönchen; eine griechische Stadt, in die der Gott zwischen die Menschen herabgestiegen war. Tausende warfen sich auf der Straße nieder; Hunderte legten auf der Stelle Gelübde ab; und sogar Außenseiter wie die beiden Amerikaner konnten an nichts anderes denken und von nichts anderem sprechen als dem Wunder. Alvarez selbst war erschüttert, und das mit Recht; und er setzte sich nieder, den Kopf in den Händen.
    Und im Zentrum dieses Wirbelsturms der Glückseligkeit kämpfte ein kleiner Mann darum, daß man seine Stimme höre. Seine Stimme war klein und schwach, und der Lärm war ohrenbetäubend. Er machte schwache kleine Gesten, die eher solche der Verwirrung zu sein schienen als etwas anderes. Er kam an den Rand der Brüstung über der Menge und winkte ihr zu, ruhig zu sein, mit Bewegungen eher dem Flappen der kurzen Schwingen eines Pinguins ähnlich. Da entstand so etwas wie eine Stille im Gelärme; und dann erreichte Father Brown zum ersten Mal die äußersten Grenzen seiner Empörung, die er gegen seine Kinder zu richten vermochte.
    »Oh ihr einfältigen Menschen«, sagte er mit hoher und bebender Stimme; »oh ihr einfältigen, einfältigen Menschen.«
    Dann schien er sich plötzlich zusammenzureißen, machte in seiner nun wieder gewöhnlichen Haltung einen Satz zu den Stufen hin und begann, eilig hinabzusteigen.
    »Wohin gehen Sie, Father?« fragte Mendoza mit mehr als seiner üblichen Verehrung.
    »Zum Telegraphenamt«, sagte Father Brown hastig. »Was? Nein; natürlich ist das kein Wunder. Warum sollte es ein Wunder geben? Wunder sind so billig nicht wie das hier.«
    Und er kam taumelnd die Stufen herab, und die Leute warfen sich ihm in den Weg und erflehten seinen Segen.
    »Seid gesegnet, seid gesegnet«, sagte Father Brown hastig. »Gott segne euch alle und gebe euch mehr Vernunft.«
    Und mit seinen kleinen Schritten eilte er mit außerordentlicher Geschwindigkeit zum Telegraphenamt, wo er dem Sekretär des Bischofs drahtete: »Verrückte Geschichte über Wunder hier läuft um; hoffe Seine Eminenz verweigert Anerkennung. Nichts daran.«
    Als er sich von dieser Anstrengung abwandte, taumelte er in der Reaktion leicht, und John Race ergriff ihn am Arm.
    »Darf ich Sie nach Hause bringen?« sagte er. »Sie verdienen mehr, als diese Leute Ihnen geben.«
     
    John Race und der Priester saßen in der Pfarrei; auf dem Tisch türmten sich immer noch die Papiere, mit denen sich der letztere am Vortag herumgeschlagen hatte; die Flasche Wein und das geleerte Weinglas standen noch so da, wie er sie verlassen hatte.
    »Und nun«, sagte Father Brown fast grimmig, »kann ich anfangen nachzudenken.«
    »Ich würde nicht gerade jetzt allzu scharf nachdenken«, sagte der Amerikaner. »Sie müssen sich doch nach Ruhe sehnen. Und außerdem, worüber wollen Sie denn

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