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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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und Klatsch geworden. Der Namenlose wurde mit einem Namen oder besser mit einem Spitznamen bedacht. Hier aber haben wir es nur mit der Geschichte des dritten Opfers zu tun; denn nur in diesem dritten Fall fand ein gewisser Father Brown, der das Thema dieser Skizzen ist, Gelegenheit, seine Anwesenheit zur Geltung zu bringen.
    Als Father Brown zum ersten Mal von einem Atlantikdampfer aus Amerikas Boden betrat, stellt er wie mancher andere Engländer fest, daß er eine viel bedeutendere Persönlichkeit war, als er je vermutet hätte. Seine kurze Gestalt, sein kurzsichtiges Gesicht ohne besonders markante Züge, seine reichlich schäbige schwarze klerikale Kleidung hätten in seinem eigenen Lande in jeder Menge durchgehen können, ohne als ungewöhnlich aufzufallen, höchstens vielleicht als ungewöhnlich unbedeutend. Amerika aber hat eine besondere Fähigkeit, Ruhm zu ermutigen; und sein Auftreten in ein oder zwei eigenartigen Kriminalfällen hatte zusammen mit seiner langen Beziehung zu Flambeau, dem Ex-Verbrecher und Detektiv, in Amerika zu einem Ruf verdichtet, was in England kaum mehr als ein Gerücht war. Sein rundes Gesicht war leer vor Staunen, als er sich am Kai von einer Gruppe Journalisten wie von einer Brigantenbande aufgehalten fand, die ihn Fragen zu all den Themen fragten, für die er sich selbst am wenigsten als Autorität ansehen würde, wie etwa nach Einzelheiten der Frauenmode und der Verbrechensstatistik des Landes, das er in jenem Augenblick zum ersten Mal sah. Vielleicht war es der Gegensatz zu der schwarzen, schlachterprobten Gemeinschaftlichkeit dieser Gruppe, die eine andere Gestalt um so deutlicher werden ließ, die sich ebenfalls schwarz gegen das brennend weiße Tageslicht jener strahlenden Örtlichkeit und Jahreszeit abhob, vollständig allein; ein großer, fast gelbgesichtiger Mann mit großen Brillengläsern, der ihn mit einer Handbewegung aufhielt, als die Journalisten fertig waren, und sagte: »Verzeihen Sie, aber vielleicht suchen Sie Hauptmann Wain.«
    Eine Entschuldigung für Father Brown mag angebracht sein; denn er selbst hätte sich sicherlich sehr entschuldigt. Es muß daran erinnert werden, daß er Amerika niemals zuvor gesehen hatte, und vor allem, daß er diese Art von Schildpattbrillen niemals zuvor gesehen hatte; denn diese Mode hatte zu jener Zeit England noch nicht erreicht. Sein erstes Empfinden war, ein glotzäugiges Seeungeheuer mit einer schwachen Andeutung von Taucherhelm anzustarren. Davon abgesehen war der Mann ausgezeichnet gekleidet; und Brown erschien in seiner Unschuld die Brille als die sonderbarste Entstellung eines Dandys. Es war so, als habe sich ein Dandy als letzte Steigerung der Eleganz ein Holzbein zugelegt. Und auch die Frage verwirrte ihn. Ein amerikanischer Flieger namens Warn, ein Freund seiner Freunde in Frankreich, stand tatsächlich auf der langen Liste von Personen, die während seines Amerika-Besuches zu sehen er eine gewisse Hoffnung hegte; aber er hatte niemals erwartet, von ihm so früh zu hören.
    »Um Vergebung«, sagte er zweifelnd, »sind Sie Hauptmann Wain? Kennen – kennen Sie ihn?«
    »Nun, ich bin ziemlich sicher, daß ich nicht Hauptmann Wain bin«, sagte der Mann mit der Brille und einem Gesicht aus Holz. »Das war mir ziemlich klar, als ich ihn da drüben im Auto auf Sie warten sah. Aber die andere Frage ist ein bißchen problematischer. Ich nehme an, ich kenne Wain und seinen Onkel, und den alten Merton auch. Ich kenne den alten Merton, aber der alte Merton kennt mich nicht. Und deshalb glaubt er, er sei im Vorteil, und ich glaube, ich bin im Vorteil. Kapiert?«
    Father Brown kapierte nicht ganz. Er blinzelte über das glitzernde Gewässer und die Zinnen der Stadt und dann den Mann mit der Brille an. Es war nicht nur diese Maskierung der Augen des Mannes, die den Eindruck des Undurchdringlichen heraufbeschwor. Etwas in seinem gelben Gesicht war fast asiatisch, gar chinesisch; und seine Konversation schien aus verfestigten Schichten Ironie zu bestehen. Er war ein Typ, wie man ihn hier und da in jener offenherzigen und geselligen Bevölkerung findet; er war der unergründliche Amerikaner.
    »Mein Name ist Drage«, sagte er, »Norman Drage, und ich bin amerikanischer Bürger, was alles erklärt. Jedenfalls bilde ich mir ein, daß Ihr Freund Wain das übrige erklären möchte; also wollen wir den 4. Juli auf ein anderes Datum vertagen.«
    Father Brown wurde in ziemlich benommenem Zustand zu einem Auto geschleppt, das in einiger

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