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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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man ihn nicht mag. Wie auch immer, da war nichts anderes im armen Nacht, was gegen diese Leute protestierte, außer daß er sie nicht mochte, weil sie ihn fürchteten. Nun weiß ich, daß Sie sehr scharfsinnig sind, und kein vernünftiger Mann verspottet den Scharfsinn. Aber manchmal stelle ich mir beispielsweise vor, daß Sie zu scharfsinnig sind, um die Tiere zu verstehen. Manchmal sind Sie auch zu scharfsinnig, um die Menschen zu verstehen, vor allem, wenn sie fast so einfach wie Tiere handeln. Tiere nehmen alles wörtlich; sie leben in einer Welt der alltäglichen Wahrheiten. Nehmen Sie diesen Fall: Ein Hund bellt einen Mann an, und ein Mann flieht vor einem Hund. Nun scheinen Sie nicht einfach genug zu sein, um die Tatsachen zu erkennen: daß der Hund bellte, weil er den Mann nicht mochte, und daß der Mann floh, weil er vor dem Hund Angst hatte. Die hatten keine anderen Gründe, und sie brauchten keine; aber Sie müssen da psychologische Rätsel hineingeheimnissen und annehmen, der Hund besitze übernatürliche Erkenntnisse und sei das rätselhafte Sprachrohr des Schicksals. Sie müssen annehmen, daß der Mann nicht vor dem Hund, sondern vor dem Henker floh. Denken Sie aber darüber nach, so ist all diese tiefere Psychologie ungewöhnlich unwahrscheinlich. Wenn der Hund wirklich bewußt den Mörder seines Herrn erkennen könnte, stünde er nicht kläffend vor ihm wie vorm Dorfpriester bei der Teegesellschaft; dann würde er ihm viel eher an die Gurgel gehen. Und andererseits, glauben Sie wirklich, daß ein Mann, der sein Herz genug verhärtet hat, um einen alten Freund zu ermorden und dann lächelnd zwischen seiner Familie umherzugehen, unter den Augen der Tochter seines alten Freundes und des Arztes, der seinen Tod festgestellt hat – glauben Sie, ein solcher Mann würde vor lauter Gewissensbissen zusammenbrechen, bloß weil ein Hund bellt? Er könnte die tragische Ironie darin spüren; sie könnte seine Seele erschüttern wie jede andere tragische Kleinigkeit. Aber er würde nicht wie ein Verrückter durch den ganzen Garten fliehen, um dem einzigen Zeugen zu entkommen, von dem er weiß, daß er nicht reden kann. Menschen verfallen in solche Panik nicht aus Angst vor tragischer Ironie, sondern vor Zähnen. Die ganze Sache ist einfacher, als Sie begreifen können.
    Wenn wir aber zu den Ereignissen am Ufer kommen, sind die Dinge sehr viel interessanter. Und wie Sie sie dargestellt haben, auch sehr viel verwirrender. Ich habe die Geschichte von dem Hund, der ins Wasser ging und wieder herauskam, einfach nicht verstanden; das erschien mir nicht wie hündisches Verhalten. Wenn Nacht wegen irgend etwas sehr aufgeregt gewesen wäre, hätte er sich möglicherweise geweigert, überhaupt hinter dem Stock herzulaufen. Er hätte vermutlich in jeder Richtung nachgeschnüffelt, in der er das Unheil vermutete. Aber wenn ein Hund einmal dabei ist, hinter irgendwas herzujagen, einem Stein oder einem Stock oder einem Kaninchen, dann würde ihn nach meiner Erfahrung nichts davon abbringen, außer dem schärfsten Befehl, und nicht einmal immer der. Daß er umgekehrt sein soll, weil sich seine Stimmung geändert hat, schien mir völlig undenkbar.«
    »Aber er ist umgekehrt«, beharrte Fiennes, »und er kam ohne den Stock zurück.«
    »Er kam aus dem besten Grund auf der Welt ohne den Stock zurück«, erwiderte der Priester. »Er kam zurück, weil er ihn nicht finden konnte. Er winselte, weil er ihn nicht finden konnte. Solche Sachen sind es, wegen denen ein Hund wirklich winselt. Ein Hund hängt höllisch an Ritualen. Er ist mit der exakten Routine eines Spiels ebenso eigen wie ein Kind mit der exakten Wiederholung eines Märchens. In diesem Fall war mit dem Spiel etwas falsch gelaufen. Er kam zurück, um sich ernstlich über das Benehmen des Stockes zu beschweren. So etwas war noch nie dagewesen. Noch nie war ein so bedeutender und ausgezeichneter Hund von einem üblen alten Spazierstock so behandelt worden.«
    »Was hatte der Spazierstock denn getan?« fragte der junge Mann.
    »Er war untergegangen«, sagte Father Brown.
    Fiennes sagte nichts, sondern fuhr fort zu starren; und dann fuhr der Priester fort:
    »Er war untergegangen, weil er nicht wirklich ein Stock war, sondern vielmehr eine Stahlstange mit einem sehr dünnen Bambusmantel und einer scharfen Spitze. Mit anderen Worten, ein Stockdegen. Ich nehme an, daß noch nie ein Mörder seine blutige Waffe auf eine so ungewöhnliche und doch zugleich so natürliche Weise

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