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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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war.
    »Wer in aller Welt kann denn in dem alten Gehäuse leben?« rief der Londoner aus, ein großer Mann mit dem Aussehen eines Bohemiens, jung, doch mit einem struppigen roten Bart, der ihn älter aussehen ließ; Chelsea kannte ihn als Harry Payne.
    »Gespenster, möchte man annehmen«, erwiderte sein Freund Martin Wood. »Und die Leute, die da leben, sind tatsächlich eher Gespenster.«
    Es mag wie ein Paradox erscheinen, daß der Londoner Künstler mit seiner lärmigen Frische und Neugier fast ländlich wirkte, während der örtliche Künstler sehr viel gewiegter und erfahrener schien und ihn mit reifer und gutmütiger Belustigung betrachtete; und tatsächlich war er insgesamt eine ruhigere und konventionellere Erscheinung mit seiner dunkleren Kleidung und dem glattrasierten, eckigen, unerschütterlichen Gesicht.
    »Das ist natürlich nur ein Zeichen der Zeit«, fuhr er fort, »oder vielmehr des Vergehens der alten Zeiten, und der alten Familien mit ihnen. In dem Haus leben die letzten der großen Darnaways, und nicht viele der neuen Armen sind so arm wie sie. Sie können es sich nicht einmal leisten, ihr eigenes Obergeschoß bewohnbar zu machen; statt dessen müssen sie in den unteren Räumen einer Ruine leben wie Fledermäuse und Eulen. Und doch besitzen sie Familienporträts, die bis in die Zeit der Rosenkriege und der frühesten Porträtmalerei in England zurückreichen, und manche davon sind sehr schön; ich weiß das, weil sie für deren Auffrischung meinen professionellen Rat erbeten haben. Da ist vor allem eines, und eines der frühesten, das ist so gut, daß man eine Gänsehaut bekommt.«
    »Nach dem Aussehen zu schließen macht einem das ganze Haus Gänsehaut«, erwiderte Payne.
    »Nun ja«, sagte sein Freund, »um die Wahrheit zu sagen, das stimmt.«
    Das folgende Schweigen wurde durch ein schwaches Rascheln in den Binsen am Wassergraben gestört; und verständlicherweise fahren sie leicht zusammen, als eine dunkle Gestalt schnell und fast wie ein aufgeschreckter Vogel am Ufer dahinstrich. Aber es war nur ein Mann, der mit einer schwarzen Tasche in der Hand schnell ausschritt: ein Mann mit einem langen blassen Gesicht und scharfen Augen, die den Fremden aus London auf leicht düstere und mißtrauische Weise betrachteten.
    »Das ist nur Dr. Barnet«, sagte Wood einigermaßen erleichtert. »Guten Abend, Doktor. Gehen Sie ins Haus? Ich hoffe, daß niemand krank ist.«
    »In einem solchen Haus ist jeder immer krank«, grummelte der Arzt, »nur sind sie manchmal zu krank, um es selbst zu merken. Schon die Luft da drin ist Gifthauch und Pestilenz. Ich beneide den jungen Mann aus Australien nicht.«
    »Und wer«, fragte Payne plötzlich und ziemlich geistesabwesend, »könnte der junge Mann aus Australien sein?«
    »Ah!« schnob der Arzt. »Hat Ihnen Ihr Freund nichts über ihn erzählt? Soviel ich weiß, kommt er heute an. Roman ganz im alten Stil des Melodrams: Der Erbe kehrt aus den Kolonien in sein zerfallenes Schloß zurück, und alles komplett einschließlich eines alten Familienvertrags, wonach er die Dame zu heiraten hat, die aus dem alten efeubewachsenen Turm Ausschau hält. Komischer alter Unfug, nicht wahr? Aber es geschieht tatsächlich von Zeit zu Zeit. Er hat sogar ein bißchen Geld, der einzige Lichtblick, den es in dieser Angelegenheit je gegeben hat.«
    »Was hält denn Miss Darnaway in ihrem efeuumsponnenen Turm selbst von der ganzen Angelegenheit?« fragte Martin Wood trocken.
    »Was sie inzwischen auch von allem übrigen hält«, erwiderte der Doktor. »In dieser alten verwucherten Höhle des Aberglaubens denkt man nicht, man träumt nur und läßt sich treiben. Ich glaube, daß sie den Familienvertrag und den Eheherrn aus den Kolonien als Teil des Verhängnisses der Darnaways hinnimmt, wissen Sie. Ich glaube wirklich, wenn er sich als buckliger Neger mit einem Auge und mörderischen Neigungen herausstellt, wird sie lediglich finden, daß das das Tüpfelchen auf dem i ist und ausgezeichnet in diese düstere Szenerie paßt.«
    »Sie geben meinem Freund aus London da kein sehr heiteres Bild von meinen Freunden auf dem Lande«, sagte Wood lachend. »Ich hatte eigentlich die Absicht, ihn mit auf Besuch zu nehmen; denn kein Künstler sollte sich die Darnaway-Porträts entgehen lassen, wenn er die Gelegenheit hat. Aber vielleicht sollte ich das besser verschieben, wenn sie sich gerade inmitten der australischen Invasion befinden.«
    »Aber um Himmels willen, gehen Sie und besuchen Sie sie«,

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