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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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ist heute früh angekommen.«
    Und noch während sie aus der Bibliothek in den zentralen Salon gingen, hörten sie die Schritte des Neuankömmlings, wie er die Eingangsstufen herabklapperte und eine Reihe leichter Gepäckstücke hinter sich herzog. Als Payne eines davon erblickte, lachte er erleichtert auf. Sein Dreibein war nichts anderes als das Stativ einer tragbaren Kamera, leicht ein- und auszupacken; und der Mann, der es trug, schien ebenso handfeste und normale Eigenschaften anzunehmen. Er trug dunkle Kleidung, aber von salopper und feriengemäßer Art; sein Hemd war aus grauem Flanell, und seine Stiefel hallten selbstbewußt genug in jenen stillen Räumen wider. Als er vortrat, um seine neue Umgebung zu begrüßen, hing seinem Schritt kaum mehr als der Hauch eines Hinkens an. Aber Payne und seine Gefährten sahen ihm ins Gesicht, und konnten den Blick kaum davon abwenden.
    Er bemerkte offenbar etwas Sonderbares und Ungemütliches in seinem Empfang; aber sie hätten beschwören können, daß er selbst die Ursache davon nicht kannte. Die Dame, die in einem gewissen Sinne bereits als ihm anverlobt galt, war wahrlich schön genug, um seine Aufmerksamkeit zu fesseln; aber zugleich erschreckte sie ihn offensichtlich auch. Der alte Hausverwalter brachte ihm eine Art feudaler Huldigung dar, behandelte ihn aber zugleich so, als sei er das Familiengespenst. Der Priester schließlich blickte ihn mit einem Gesicht an, das vollkommen undeutbar und daher vielleicht um so entnervender war. Eine neue Art Ironie, der griechischen Ironie ähnlicher, zog in Paynes Geist ein. Er hatte sich den Fremden als einen Teufel gedacht, und nun erschien es fast schlimmer, daß er ein unbewußtes Schicksal war. Er schien auf das Verbrechen zuzumarschieren mit der ungeheuerlichen Unschuld eine Ödipus. Er hatte sich dem Haus seiner Väter mit so blinder Heiterkeit genaht, daß er seine Kamera aufgebaut hatte, um den ersten Anblick zu photographieren; aber selbst die Kamera hatte das Aussehen des Dreifußes einer tragischen Pythia angenommen.
    Payne war, als er wenig später Abschied nahm, überrascht über etwas, das zeigte, daß sich der Australier seiner Umwelt bereits nicht mehr so unbewußt war. Er sagte nämlich mit leiser Stimme:
    »Gehen Sie nicht… oder kommen Sie bald zurück. Sie sehen wie ein menschliches Wesen aus. Dieses Haus macht mich verrückt.«
    Als Payne aus diesen fast unterirdischen Hallen auftauchte in die Nachtluft und den Duft des Meeres, fühlte er sich, als komme er aus jener Unterwelt der Träume, in der Ereignisse sich gleichzeitig auf unruhige und unwirkliche Art überstürzen. Die Ankunft des fremden Verwandten war irgendwie unbefriedigend und sozusagen unüberzeugend erfolgt. Die Verdoppelung des Gesichtes aus dem alten Porträt in dem neu Angekommenen beunruhigte ihn wie ein zweiköpfiges Monstrum. Und doch war es nicht unbedingt ein Alptraum; und möglicherweise war es nicht das Gesicht, das er am deutlichsten vor sich sah.
    »Sagten Sie«, fragte er den Arzt, als sie gemeinsam über die gestreiften dunklen Sande an der dunkelnden See dahinschritten, »sagten Sie, daß der junge Mann Miss Darnaway durch einen Familienvertrag oder so was verlobt sei? Klingt ja fast wie ein Roman.«
    »Aber wie ein historischer«, antwortete Dr. Barnet. »Die Darnaways versanken alle vor einigen Jahrhunderten in Schlaf, als jene Dinge wirklich getan wurden, von denen wir nur noch in Romanen lesen. Ja, ich glaube, daß es da so eine Familientradition gibt, wonach Vettern und Cousinen zweiten oder dritten Grades immer dann heiraten, wenn sie in einem bestimmten Alter zueinander stehen, um das Vermögen zusammenzuhalten. Verdammt dumme Tradition, würde ich sagen; und wenn sie auf diese Weise oft untereinander geheiratet haben, dann könnte das auf Grund der Vererbungsgesetze Ursache dafür sein, daß sie so degeneriert sind.«
    »Ich würde nicht behaupten«, antwortete Payne etwas steif, »daß sie alle degeneriert sind.«
    »Nun ja«, erwiderte der Doktor, »der junge Mann sieht natürlich nicht degeneriert aus, auch wenn er mit Sicherheit hinkt.«
    »Der junge Mann!« schrie Payne, der plötzlich und unvernünftig Ärger empfand. »Nun, wenn Sie glauben, daß die junge Dame degeneriert aussieht, dann, glaube ich, haben Sie einen degenerierten Geschmack.«
    Das Gesicht des Arztes wurde dunkel und bitter. »Ich glaube, davon weiß ich mehr als Sie«, schnappte er.
    Sie beendeten ihren Marsch schweigend, wobei jeder das Gefühl

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