Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit
hatte und seine Ferien gerne nutzen wollte, geleitete er Flambeau und Flambeaus Boot zum besten Fischplatz im Fluß und war in seinem eigenen Kanu zwanzig Minuten später zurück, um sich Father Brown in der Bibliothek anzuschließen und sich mit gleicher Höflichkeit in die mehr philosophischen Vergnügungen des Priesters zu stürzen. Er schien von beidem viel zu wissen, vom Fischen und von Büchern, wenngleich bei diesen nicht eben viel von den erbaulichen; er sprach fünf oder sechs Sprachen, wenngleich meist nur ihren Slang. Er hatte offenkundig in vielen Städten und vielerlei gemischter Gesellschaft gelebt, denn einige seiner amüsantesten Geschichten handelten von Spielhöllen und Opiumhöhlen, von australischen Buschräubern oder italienischen Banditen. Father Brown wußte, daß der einst gefeierte Saradine die letzten Jahre auf fast ununterbrochenen Reisen verbracht hatte, aber er hatte nicht geahnt, daß diese Reisen so unrühmlich oder so amüsant gewesen waren.
Und wirklich strahlte Prinz Saradine trotz all seiner weltmännischen Würde für einen so empfindsamen Beobachter wie den Priester eine gewisse Atmosphäre der Unruhe und selbst der Unzuverlässigkeit aus. Sein Gesicht war stolz, aber sein Blick ungezügelt; er hatte kleine nervöse Ticks wie ein von Drink oder Droge erschütterter Mann; und er hatte auch nicht, und gab es nicht einmal vor, die Hand am Steuer seines Haushaltes. Das überließ er seinen beiden alten Dienstboten, vor allem dem Butler, der offenkundig die tragende Säule des Hauses war. Mr. Paul war tatsächlich nicht so sehr ein Butler, als vielmehr eine Art Haushofmeister oder gar Großkämmerer; er speiste allein, aber mit fast dem gleichen Pomp wie sein Herr; er wurde von allen Dienstboten gefürchtet; und er verhandelte mit dem Prinzen zwar ehrerbietig, aber irgendwie unnachgiebig – eher so, als wäre er des Prinzen Rechtsanwalt. Die düstere Haushälterin war im Vergleich dazu nur ein Schatten; tatsächlich schien sie sich selbst auszulöschen und nur den Butler zu bedienen, und Brown hörte keines jener vulkanischen Geflüster mehr, die die halbe Geschichte des jüngeren Bruders erzählt hatten, der den älteren erpreßte. Ob der Prinz wirklich von dem abwesenden Hauptmann so ausgeblutet wurde, dessen konnte er nicht sicher sein, aber da war etwas Unsicheres und Heimliches um Saradine, das die Erzählung keineswegs unglaubhaft machte.
Als sie ein weiteres Mal in die lange Halle mit den Fenstern und den Spiegeln gingen, sank bereits goldener Abendschein auf das Wasser und die Weiden am Ufer, und eine Rohrdommel schlug in der Ferne wie ein Elf auf seiner Zwergentrommel. Und wieder durchzog jenes eigenartige Gefühl eines traurigen und bösen Märchenlandes die Seele des Priesters wie eine graue Wolke. »Ich wollte, Flambeau wäre zurück«, murmelte er.
»Glauben Sie an das Verhängnis?« fragte der ruhelose Prinz Saradine plötzlich.
»Nein«, antwortet sein Gast. »Ich glaube an das verhängte Jüngste Gericht.«
Der Prinz wandte sich vom Fenster ab und starrte ihn auf sonderbare Weise an, sein Gesicht im Schatten vor dem Sonnenuntergang. »Was meinen Sie damit?« fragte er.
»Ich meine, daß wir uns hier auf der falschen Seite der Tapete befinden«, sagte Father Brown. »Die Dinge, die sich hier ereignen, scheinen nichts zu bedeuten; sie bedeuten irgendwas irgendwoanders. Irgendwoanders trifft den wahren Schuldigen die Vergeltung. Hier scheint sie oft den Falschen zu treffen.«
Der Prinz gab ein unerklärliches Geräusch von sich wie ein Tier; in seinem verschatteten Gesicht leuchteten seine Augen seltsam. Eine neue und scharfsinnige Überlegung brach sich plötzlich im Geist des anderen Bahn. Gab es etwa eine andere Bedeutung für die Mischung von Glanz und Schroffheit in Saradine? War der Prinz – war er ganz gesund? Er wiederholte »Den Falschen – den Falschen« viel öfter, als es im Rahmen eines gesellschaftlichen Gespräches natürlich war.
Und dann erwachte Father Brown zögernd zu einer zweiten Wahrheit. In den Spiegeln vor ihm konnte er die lautlose Tür offenstehen und den lautlosen Mr. Paul in ihr stehen sehen mit seiner üblichen blassen Unempfindlichkeit.
»Es erschien mir richtig, sofort mitzuteilen«, sagte er mit der steifen Ehrerbietung eines alten Familienanwaltes, »daß ein von sechs Männern gerudertes Boot am Landesteg angelegt hat und daß ein Gentleman im Heck sitzt.«
»Ein Boot?« wiederholte der Prinz. »Ein Gentleman?«, und er stand
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