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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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auf.
    Da war ein erschrecktes Schweigen, das nur von dem eigentümlichen Geräusch des Vogels in den Binsen durchlöchert wurde; und dann glitt, ehe noch jemand wieder sprechen konnte, ein neues Gesicht, eine neue Gestalt im Profil an den drei sonnendurchleuchteten Fenstern vorüber, wie der Prinz vor ein oder zwei Stunden. Aber abgesehen von dem Zufall, daß beide Profile adlerhaft geschnitten waren, hatten sie wenig Gemeinsames. An der Stelle von Saradines neuem weißem Zylinder befand sich ein schwarzer von antiquierter oder ausländischer Form; darunter war ein junges und sehr ernstes Gesicht, glattrasiert, bläulich um das entschlossene Kinn, und leise an den jungen Napoleon erinnernd. Diese Gedankenverbindung wurde noch dadurch gestützt, daß es etwas Altmodisches und Ausgefallenes in seiner ganzen Ausstattung gab, als habe der Mann sich niemals die Mühe gemacht, die Mode seines Vaters zu ändern. Er trug einen abgewetzten blauen Frack, eine rote soldatische Weste, eine weiße Hose aus grobem Stoff, wie sie bei den frühen Viktorianern üblich war, doch heutigentags seltsam unpassend ist. Aus diesem ganzen Altkleiderladen hob sich sein olivbraunes Gesicht seltsam jung und schrecklich aufrichtig heraus.
    »Zum Teufel!« sagte der Prinz Saradine, stülpte sich seinen weißen Hut auf und ging selbst zur Eingangstür, die er zum Garten mit Sonnenuntergang hin aufstieß.
    Zu diesem Zeitpunkt hatten sich der Neuankömmling und seine Begleitung auf dem Rasen aufgestellt wie ein kleines Bühnenheer. Die sechs Ruderer hatten ihr Boot weit aufs Ufer hinaufgezogen und bewachten es geradezu bedrohlich, indem sie ihre Ruder aufrecht hielten wie Speere. Es waren dunkelhäutige Männer, und manche von ihren trugen Ohrringe. Doch einer von ihnen war vorgetreten und stand neben dem olivgesichtigen jungen Mann in der roten Weste und trug einen großen Kasten von ungewöhnlicher Form.
    »Ihr Name«, fragte der junge Mann, »ist Saradine?«
    Saradine stimmte ziemlich gleichgültig zu.
    Der Neuankömmling hatte stumpfe braune Hundeaugen, so unterschiedlich wie nur möglich von den rastlosen und glitzernden grauen Augen des Prinzen. Doch wieder wurde Father Brown von einem Gefühl gequält, er habe irgendwo schon einmal ein Ebenbild dieses Gesichtes gesehen; und wieder erinnerte er sich der Wiederholungen in dem spiegelgetäfelten Raum, und er führte den Zufall darauf zurück. »Zum Kuckuck mit diesem Kristallpalast!« murmelte er. »Man sieht alles zu oft. Wie in einem Traum.«
    »Wenn Sie Prinz Saradine sind«, sagte der junge Mann, »darf ich Ihnen mitteilen, daß mein Name Antonelli ist.«
    »Antonelli«, wiederholte der Prinz matt. »Irgendwoher erinnere ich mich an diesen Namen.«
    »Erlauben Sie mir, mich vorzustellen«, sagte der junge Italiener.
    Mit der Linken nahm er höflich seinen altmodischen Zylinder ab; mit der Rechten verpaßte er Prinz Saradine eine so schallende Ohrfeige, daß der weiße Zylinder die Treppenstufen hinabrollte und einer der blauen Blumentöpfe auf seinem Piedestal ins Wanken geriet.
    Der Prinz, was immer sonst er war, war offensichtlich kein Feigling; er sprang seinem Gegner an die Gurgel und schleuderte ihn fast rücklings ins Gras. Aber sein Gegner befreite sich mit einer einzigartig unangemessenen Miene eilfertiger Höflichkeit.
    »Schon recht«, sagte er, keuchend und in stockendem Englisch. »Ich habe beleidigt. Ich will Satisfaktion geben. Marco, öffne den Kasten.«
    Der Mann neben ihm mit den Ohrringen und dem großen schwarzen Kasten machte sich daran, ihn aufzuschließen. Er entnahm ihm zwei lange italienische Stoßdegen mit herrlichen stählernen Griffen und Klingen, die er mit den Spitzen in den Rasen pflanzte. Der fremdartige junge Mann, der mit seinem gelben rachsüchtigen Gesicht zum Eingang hin stand, die beiden Degen, die im Rasen aufrecht wie zwei Kreuze auf dem Friedhof standen, und die Linie der aufgereihten Ruderer dahinter gaben dem allem den eigentümlichen Ausdruck einer barbarischen Gerichtsstätte. Aber alles andere war unverändert, so plötzlich war die Unterbrechung geschehen. Das Gold des Sonnenunterganges glühte noch auf dem Rasen, und die Rohrdommel dommelte noch immer, als ob sie ein kleines, aber schreckliches Schicksal ankündige.
    »Prinz Saradine«, sagte der Mann namens Antonelli; »als ich ein Kind in der Wiege war, töteten Sie meinen Vater und stahlen meine Mutter; mein Vater war der Glücklichere. Sie haben ihn nicht in ehrlichem Kampfe getötet, wie

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