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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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Hoffnung entflammt. Seine Augen leuchteten.
    »Das ist es«, schrie er mit klarer Stimme. »Damit muß man anfangen. In Paulines Augen – «
    Der große Prophet wich in fast wahnsinniger Verwirrung vor dem kleinen Priester zurück. »Was meinen Sie? Wie können Sie es wagen?« schrie er wieder und wieder.
    »In Paulines Augen«, wiederholte der Priester, und seine eigenen leuchteten immer mehr. »Weiter – in Gottes Namen weiter. Das schlimmste Verbrechen, das der böse Feind einem eingeflüstert hat, wird durch die Beichte leichter; und ich flehe Sie an: Beichten Sie. Weiter, weiter – in Paulines Augen – «
    »Laß mich gehen, du Teufel!« donnerte Kalon und wand sich wie ein Riese in Fesseln. »Wer bist du, du verfluchter Spion, daß du es wagst, dein Spinngewebe um mich zu weben und zu lauern und zu glotzen? Laß mich gehen.«
    »Soll ich ihn festhalten?« fragte Flambeau und sprang auf die Tür zu, denn Kalon hatte sie bereits weit geöffnet.
    »Nein; lassen Sie ihn gehen«, sagte Father Brown mit einem eigenartigen tiefen Seufzer, der aus den Tiefen des Universums zu kommen schien. »Laß Kain vorüber, denn er gehört Gott.«
    Im Raum herrschte, nachdem er ihn verlassen hatte, ein langes Schweigen, das für Flambeaus schnellen Witz eine Ewigkeit tödlicher Neugier bedeutete. Miss Joan Stacey ordnete sehr kühl die Papiere auf ihrem Schreibtisch.
    »Father«, sagte Flambeau schließlich, »es ist meine Pflicht und nicht nur meine Neugier – es ist meine Pflicht, herauszufinden, wer das Verbrechen begangen hat, wenn ich kann.«
    »Welches Verbrechen?« fragte Father Brown.
    »Das, mit dem wir uns befassen, natürlich«, antwortete sein ungeduldiger Freund.
    »Wir befassen uns mit zwei Verbrechen«, sagte Brown; »Verbrechen von sehr unterschiedlichem Gewicht – und von sehr unterschiedlichen Verbrechern begangen.«
    Miss Joan Stacey, die ihre Papiere eingesammelt und weggeräumt hatte, begann, ihren Schreibtisch abzuschließen. Father Brown fuhr fort und beachtete sie so wenig, wie sie ihn beachtete.
    »Die beiden Verbrechen«, bemerkte er, »wurden gegen die gleiche Schwäche der gleichen Person begangen, im Kampf um ihr Geld. Der Urheber des größeren Verbrechens fand sich durch das kleinere Verbrechen um seinen Lohn betrogen; der Urheber des kleineren Verbrechens bekam das Geld.«
    »Ach, halten Sie doch keine Vorlesung«, stöhnte Flambeau; »sagen Sie es mit ein paar Worten.«
    »Ich kann es mit einem Wort sagen«, antwortete sein Freund.
    Miss Joan Stacey stülpte sich ihren sachlich-düsteren Hut vor einem kleinen Spiegel mit einem sachlich-düsteren Stirnrunzeln auf den Kopf und ergriff, während das Gespräch weiterging, ohne Hast Handtasche und Schirm und verließ den Raum.
    »Die Wahrheit ist in einem Wort, sogar einem kurzen«, sagte Father Brown. »Pauline Stacey war blind.«
    »Blind!« wiederholte Flambeau, und erhob sich langsam zu seiner ganzen Größe.
    »Sie war das durch Vererbung«, fuhr Brown fort. »Ihre Schwester hätte Brillen getragen, wenn Pauline sie gelassen hätte; aber sie hatte nun mal die besondere Philosophie oder Macke, daß man solches Ungemach nicht ermutigen dürfe, indem man ihm nachgebe. Sie wollte die Wolke nicht eingestehen; oder sie versuchte, sie durch ihren Willen zu vertreiben. Und durch die Überanstrengung wurden ihre Augen schlechter und schlechter; aber die schlimmste Überanstrengung sollte noch kommen. Sie kam mit diesem kostbaren Propheten, oder wie immer er sich bezeichnet, der sie lehrte, mit bloßen Augen in die heiße Sonne zu starren. Das hieß Apollo empfangen. Ach, wenn diese neuen Heiden nur die alten Heiden wären, dann wären sie ein bißchen weiser! Die alten Heiden wußten, daß die reine Naturanbetung ihre grausamen Seiten hat. Sie wußten, daß Apollos Auge sengen und blenden kann.«
    Nach einer Pause fuhr der Priester mit sanfter, ja gebrochener Stimme fort: »Ob jener Teufel sie nun absichtlich blind machte oder nicht, es gibt keinen Zweifel, daß er sie absichtlich durch ihre Blindheit ermordet hat. Die Einfachheit des Verbrechens macht krank. Wie Sie wissen, fuhren er und sie in den Fahrstühlen ohne Liftboy auf und ab; und Sie wissen auch, wie glatt und lautlos die Fahrstühle gleiten. Kalon brachte den Fahrstuhl auf das Stockwerk des Mädchens und sah sie durch die offene Tür in ihrer langsamen sichtlosen Weise das Testament schreiben, das sie ihm versprochen hatte. Er rief fröhlich zu ihr hinüber, daß er den Lift für sie

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