Eingesperrt - Jessica Daniel ermittelt (German Edition)
Grund gehen: Wo war Nigel Collins?
Paul Keegan schloss die Tür auf, die sie erst vor Kurzem selbst aufgesperrt hatte, um seine tote Frau zu entdecken. Auf dem Tisch neben der Tür befand sich noch immer die ordentlich aufgestapeltePost. Es sah aus, als wäre noch mehr hinzugekommen. Paul führte sie in die Küche, wo er links von der Spüle eine Schublade öffnete. »Hier bewahren wir Speisekarten, Gutscheine und so was auf. Wenn der Werbezettel nicht hier ist, dann ist er weg.«
Er nahm einen riesigen Stapel Hochglanz-Flyer heraus und legte sie auf den Küchentisch. Sie setzten sich einander gegenüber an den Tisch und durchsuchten gemeinsam den Stapel, Jessica besonders schnell. Einige Gutscheine waren schon vor Jahren verfallen. In diesem ansonsten so ordentlichen Haus war diese Schublade anscheinend so etwas wie ein Geheimfach, wo aller mögliche Krimskrams landete, den man vielleicht irgendwann einmal gebrauchen konnte. Ihr Vater hatte zu Hause auch so eine Schublade.
Da sie nicht respektlos erscheinen wollte, tat sie es Paul nach und legte alle unbrauchbaren Flyer auf einen gesonderten Stapel. Ihrer war schon doppelt so hoch wie seiner, denn er nahm sich Zeit, jeden einzelnen Zettel zu lesen. Sie war etwas rigoroser. Es waren jede Menge Speisekarten und Gutscheine für ermäßigte Pizza und Brathähnchen und Werbung für den Supermarkt und den Schnapsladen in der Nähe dabei. Der ursprüngliche Stapel war schon um drei Viertel geschrumpft.
Jessica wollte gerade wieder einen Zettel auf den Stapel zum Wegwerfen legen, da merkte sie, was sie in der Hand hielt. Sie las den Flyer ganz genau, Wort für Wort, und dann noch einmal.
Sie wusste jetzt, wo sie Nigel Collins finden würde.
F ÜNFUNDDREISSIG
Paul Keegan sah, wie sie den Zettel in die Hand nahm. Er hörte auf zu sortieren und schaute sie an. »Haben Sie es gefunden?«
»Ja.«
»Kann ich mal sehen?«
»Ich glaube, das wäre keine so gute Idee.« Jessica befürchtete zwar nicht, dass er losstürmen würde, um seine Frau zu rächen, aber sie wollte kein Risiko eingehen. Er schien auch Verständnis dafür zu haben.
Er nickte sachte und sagte nur traurig: »Hauptsache, Sie kriegen ihn.«
Jessica machte sich auf zu der Adresse auf dem Zettel. So langsam passte alles zusammen, obwohl ihr einiges immer noch nicht ganz klar war. Das Geschäft, von dem der Werbezettel stammte, lag ganz in der Nähe der vier Tatorte. Da die Opfer sich im Viertel auskannten, wussten sie sicher auch, es war nicht nur der nächste, sondern auch der billigste Schlüsseldienst im Umkreis.
Es war also durchaus möglich, dass der Betreiber des Geschäfts auch Claire Hogans Schloss ausgetauscht hatte. Aber auch wenn er es nicht war, war dies doch zumindest eine Spur. Falls Nigel Collins sich nach seiner Verhaftung weigerte auszusagen, würde sie die ganze Geschichte vielleicht niemals erfahren.
Im Moment war Jessicas größtes Problem, den Laden überhaupt zu finden. Sie wusste, sie war am richtigen Ort, aber sie lief ständig im Kreis. Sie war schon zweimal durch die Halle gelaufen, hatte sich zwischen den Passanten durchgedrängt und jeden einzelnenStand genau inspiziert. Sie verstand einfach nicht, wieso sie diesen Stand nicht fand.
Schließlich musste sie sich eingestehen, dass sie sich hier einfach nicht gut genug auskannte, und beschloss, jemanden zu fragen. Sie ging zum nächsten Passanten und zeigte ihm den Zettel.
»Hallo, kennen Sie diesen Laden vielleicht?«
Der Mann sah blinzelnd auf den Zettel. »Einen Moment, junge Frau. Ich brauche meine Brille.« Er fischte in der Innentasche seiner Jacke nach einem Brillenetui, holte eine Bifokalbrille heraus, setzte sie auf und griff nach dem Zettel. Jessica ließ ihn nur ungern los, da er vielleicht ein wichtiges Beweisstück war. Der Mann überflog den Text. »Tut mir leid, junge Frau, ich komme nur samstags her. Keine Ahnung.«
Er gab Jessica den Zettel zurück, die innerlich kochte.
Warum sagst du das denn nicht gleich?
Sie beschloss, eine Frau zu fragen, die in der Nähe stand. Sie ging zu ihr rüber und hielt ihr den Zettel hin. »Hallo, wissen Sie vielleicht, wo sich dieser Stand befindet?«
Die Frau nahm den Zettel in die Hand und sah ihn sich an. »Sie wissen doch, dass das Sonderangebot nicht mehr gilt, oder?« Jessica hätte sie am liebsten geschüttelt.
Natürlich weiß ich das
, dachte sie.
Ich kann lesen. Beantworte einfach nur meine verdammte Frage!
Stattdessen sagte sie: »Ja, ich weiß, ich suche nur die
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