Eingesperrt - Jessica Daniel ermittelt (German Edition)
mitbekommen, dass sie heimlich weiter ermittelte.
Sie sprach nur ganz kurz mit Garry, der sich noch verkaterter anhörte als sie, aber erklärte ihm nicht, wozu sie die Nummer brauchte. Er schickte sie ihr per SMS und sie rief sofort Paul Keegan an. Der arme Mann wirkte immer noch wie am Erdboden zerstört und sie brachte es nicht über sich, ihn telefonisch zu befragen. Deshalb fragte sie nur, ob er eine Stunde Zeit habe, und sie verabredeten sich in einem Imbiss bei ihm in der Nähe. Es klang, als wäre er froh, aus dem Haus zu kommen. Jessica wollte zuerst das Auto nehmen, entschied sich dann aber wegen des Restalkohols anders. Das Lokal war leicht mit dem Bus zu erreichen und während der Fahrt hätte sie Zeit, sich einen Plan zurechtzulegen.
Paul Keegan war schon da, als Jessica das Schnellrestaurant betrat. Es lag abseits der Hauptstraße, nicht weit von seinem Haus. Bei dem Fettgeruch, der ihr entgegenschlug, fühlte sie sich sofort in ihre Kindheit zurückversetzt. Sie hatte mit ihren Eltern im Sommer immer zwei Wochen in Blackpool verbracht. Damals gab esan der Strandpromenade lauter solche Lokale, die alle versuchten, den Tee billiger anzubieten als die Konkurrenz, um möglichst viele Leute zum Bingo zu locken. Auch ganz Manchester hatte sich früher in solchen Imbissen ernährt, die aber mittlerweile schickeren, teureren Kettenrestaurants gewichen waren. Ein paar gab es noch, vor allem am Stadtrand, wo die Leute sich nicht beirren ließen und nach wie vor ein-, zweimal die Woche ein fettiges Pfannengericht mit einer Tasse Tee zu sich nahmen.
Jessica ließ den Blick über die Tische schweifen, wo sich die Leute leise unterhielten, und erspähte Paul Keegan rechts, nicht weit vom Tresen, mit einer Tasse Tee vor sich. Sie sagte hallo und fragte, ob er etwas essen oder noch eine Tasse Tee wolle, aber er schüttelte den Kopf. Jessica bestellte einen Tee – obwohl sie fürchtete, dass er auch nicht besser sein würde als der aus dem Automaten auf der Wache –, bezahlte und setzte sich zu Paul Keegan an den Tisch. »Danke, dass Sie gekommen sind«, sagte sie.
»Schon in Ordnung. Ehrlich gesagt bin ich froh, mal rauszukommen. Zuerst durften wir zwei Tage nicht ins Haus und jetzt fühle ich mich dort einfach nicht mehr wohl.«
Jessica wusste überhaupt nicht, was sie darauf antworten sollte. Es musste einfach furchtbar für ihn sein, in das Haus zurückzukehren, in dem seine Frau ermordet worden war. Er gab sich sichtlich Mühe, positiv zu klingen, aber ganz offensichtlich machte ihm die Situation sehr zu schaffen. Deshalb wollte sie nicht direkt mit der Tür ins Haus fallen.
»Wie kommen Sie zurecht?«, fragte sie.
Die Antwort konnte sie sich vorstellen. Sie hatte die Frage nur gestellt, weil sie ihn nicht sofort nach seinem Stiefsohn fragen wollte. Scott und die anderen beiden, die den Angriff auf Nigel Collins gestanden hatten, saßen weiter in Untersuchungshaft, da das Gericht von Fluchtgefahr ausging und der Prozessbeginn sicher bald angesetzt würde.
»Ach, ich weiß nicht«, sagte er. »Vor allem Steven tut mir leid. Bei all dem musste er auch noch zurück zur Uni, um seine Abschlussprüfung abzulegen. Dann muss ich noch die Beerdigungorganisieren und so weiter … Ich hatte noch gar keine Zeit, zur Ruhe zu kommen. Und gestern habe ich sogar Scott besucht …«
Jessica sah wohl erstaunt aus, denn er rechtfertigte sich: »Er ist kein schlechter Junge. Er musste viel mitmachen, als Mary und sein Vater sich getrennt haben. Aber verstehen Sie mich nicht falsch, ich weiß, er hat einen Fehler begangen, und er weiß das auch, aber …«
Er beendete den Satz zwar nicht, aber Jessica wusste, was er sagen wollte. Viele Leute machen in ihrer Jugend irgendwelche Dummheiten, womit sich natürlich Scotts Tat nicht entschuldigen ließ. Aber durch eine falsche Entscheidung im Alter von dreizehn Jahren war jetzt sein ganzes Leben ruiniert. Jessica war wirklich beeindruckt von seinem Stiefvater. Paul Keegan hätte Scott eigentlich hassen müssen, der nicht einmal sein eigen Fleisch und Blut, jedoch indirekt für den Tod seiner Frau verantwortlich war. Aber ganz im Gegenteil: Es sah aus, als hätte er ihm bereits vergeben. Jessica war geradezu überwältigt von dem Mitgefühl, das er seinem Stiefsohn entgegenbrachte.
»Möchten Sie noch einen?«, fragte sie und deutete mit dem Kinn auf seine leere Tasse.
»Ja, okay.«
»Und was zu essen?«
Paul schüttelte den Kopf.
Jessica fand, er sah aus, als könnte er
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