Eingesperrt - Jessica Daniel ermittelt (German Edition)
und letzten Schlüssel an.
Jetzt musste er einfach abwarten. Er wusste nicht einmal, ob er zu der geplanten Tat überhaupt fähig wäre. Er musste sich einfach immer vor Augen halten, was man ihm angetan hatte. Er musstekräftiger werden, seine Muskeln aufbauen und das Kommen und Gehen seiner Opfer genau beobachten. Irgendwann würde der richtige Zeitpunkt kommen. Er würde äußerst vorsichtig vorgehen, denn er durfte keine Spuren hinterlassen.
Und dann, wenn alle vier beseitigt waren, könnte er sich endlich wieder selbst in die Augen sehen, Nigel Collins ein für alle Mal vergessen und ein neues Leben beginnen. Seine Peiniger würden mit den Konsequenzen dessen, was sie angerichtet hatten, leben müssen, nicht er.
S ECHSUNDDREISSIG
Jessica kannte den alten Mann am Stand nicht. Aber sonst arbeitete hier ja auch ein anderer, der jetzt eine neue Stelle hatte. Sie wurde von Emotionen geschüttelt, sagte sich immer wieder, dass sie sich bestimmt irrte. Sie musste ganz sicher sein. Also ging sie zu dem Stand. Sie hatte ihn schon eine ganze Weile beobachtet, und der alte Mann wirkte nervös, als sie schließlich vor ihm stand.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte er mit regionalem Akzent.
Jessica konnte gar nicht mehr klar denken. »Ja, äh, Entschuldigung, arbeitet hier sonst nicht jemand anderes?«
Der Mann schenkte ihr ein mattes Lächeln. »Nach dem haben schon einige gefragt. Ich glaube, in den letzten zwei Jahren haben sich so einige Mädchen in meinen Jungen verguckt.«
»
Ihren
Jungen?«
»Na ja, er ist zwar nicht mein Sohn, aber er ist ein guter Junge. Er hat jetzt eine neue Stelle. Tut mir leid, aber er kommt nicht mehr.« Jessica wusste nicht, was sie sagen sollte. Der alte Mann schien ihren Gesichtsausdruck misszuverstehen. »Keine Sorge, es ist eine gute Stelle. Ich bin froh, dass er was Vernünftiges gefunden hat. Aber eigentlich hatte ich mich schon zur Ruhe gesetzt und jetzt muss ich wieder ran, bis ich jemand Neues finde.«
Jessica hatte überhaupt nicht zugehört, bedankte sich aber trotzdem. Ihre Gedanken überschlugen sich und sie fühlte sich wie in Trance. Es war doch einfach unmöglich …
Sie wollte es nicht glauben, bevor sie es nicht von jemand anderem gehört hatte. Sie hatte sich schon ein paar Schritte vom Stand entfernt, da drehte sie sich noch einmal um. »Können Sie mir sagen, wie er heißt?«
»Was, das wissen Sie nicht? Für so schüchtern hätte ich ihn nicht gehalten. Randall heißt er. Randall Anderson. Mit etwas Glück läuft er Ihnen ja mal über den Weg. Aber ich glaube, er hat schon eine Freundin. Sie müssen also brav abwarten, bis Sie an der Reihe sind.«
Der Mann lachte. Jessica nicht. Sie eilte davon und fischte in ihrer Tasche nach ihrem Handy. Wie immer, wenn sie es eilig hatte, gehorchten ihre Finger ihr nicht. Schließlich bekam sie es zu fassen, verfing sich aber in einem Taschengriff und ließ das Handy fallen.
Ihr Herz blieb stehen, als sie beobachtete, wie es fast in Zeitlupe herunterfiel und mit einem leichten Knall aufprallte. Sie bückte sich, um es aufzuheben. Quer über dem Display zeigte sich ein leichter Riss, aber das Gerät schien noch einigermaßen zu funktionieren. Sie durchsuchte ihr Adressbuch, aber das Handy reagierte nur langsam und scrollte nicht richtig. Sie schaffte es immerhin, ihre Anrufliste aufzurufen, und wählte Carolines Nummer.
»Geh ran, geh ran, geh schon ran«, sagte Jessica leise, während das Telefon klingelte. Sie hörte ein Klicken und dachte kurz, ihre Freundin wäre dran, es war jedoch nur die Mailbox. Während sie der Ansage lauschte, fiel ihr wieder die Nachricht vom Morgen ein. Caroline war zu ihrer Arbeitsstelle gerufen worden.
Nach dem Piepton begann Jessica panisch zu reden: »Caz, ich bin’s, Jess. Hör zu, ich weiß nicht, wo du gerade bist, aber geh irgendwohin, wo du in Sicherheit bist, wo Leute sind. Falls Randall bei dir ist, dann denk dir irgendeine Ausrede aus, um wegzukommen, und ruf mich zurück. Es ist dringend!«
Sie legte auf und fluchte, was eine Frau, die mit einem Kleinkind an ihr vorbeilief, zu missbilligen schien. Was wusste die schon? Eigentlich hätte sie einfach die Polizei anrufen sollen. Das riet sie auch immer allen anderen. Aber Jessica dachte an ihre Freundin.Vielleicht hatte sie sich ja doch geirrt. Dann wäre unter Umständen ihre Freundschaft dahin und vielleicht sogar ihre Karriere.
Aber im Grunde hatte sie keine Angst mehr, jemandem auf die Füße zu treten. Schließlich
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