Eingesperrt - Jessica Daniel ermittelt (German Edition)
etwas zu essen vertragen, aber sie konnte ihn schließlich nicht zwingen. Sie ging zum Tresen, um noch einen Becher Tee zu bestellen, und kam wieder an den Tisch. Als sie sich setzte, fragte er, warum ihr Team von dem Fall abgezogen worden sei. Sie versuchte, die Frage so gut wie möglich zu beantworten und dabei möglichst professionell zu klingen. Sie sagte, die Serious Crime Division sei für solche Fälle besser geschult und es gehe ja vor allem nur noch um die Suche nach einer Person. Sie fand, es hörte sich überzeugend an, auch wenn sie es selbst nicht glaubte.
»Aber eins wollte ich Sie noch fragen, wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte Jessica.
»Kein Problem.«
»Wissen Sie noch, wie Sie mir erzählt haben, es habe bei Ihnen in der Gegend in letzter Zeit Probleme mit Kindern gegeben? Was war denn da los?«
»Ach, das Übliche. Kinder, die sich nachts draußen rumtreiben, Lärm machen und so. Und irgendjemand hat Sekundenkleber in unsere Türschlösser geschmiert. Wir mussten aus dem Fenster klettern. Außerdem mussten wir neue Schlösser einbauen lassen.«
Es verschlug Jessica fast die Sprache. Wieso hatte sie nicht früher danach gefragt? Sie wollte nachfragen, fing aber an zu stammeln. Es schien ewig zu dauern, bis sie ihre Frage schließlich herausbrachte: »Wie lang ist das her?«
Jetzt schien auch Paul Keegan zu verstehen, worauf sie hinauswollte. »Warum? Meinen Sie etwa …? Ähm, vor fünf oder sechs Monaten.«
»Wissen Sie noch, wer die neuen Schlösser eingebaut hat?«
»Nein, ich war im Büro. Mary hatte frei, aber, ähm …« Er verstummte und dachte nach. »Ja, ja, jetzt weiß ich wieder. Am Tag, bevor es passiert ist, hatten wir einen Werbezettel im Briefkasten. Irgendein Sonderangebot. Mary hat sämtliche Post immer fein säuberlich auf dem Tisch neben der Tür aufgestapelt. Damals schien es wie ein glücklicher Zufall.«
Jessicas Gedanken rasten. Sie hoffte inständig, er würde ihre nächste Frage bejahen. »Haben Sie den Zettel noch?«
»Äh … keine Ahnung. Mary hat so was meistens aufbewahrt, nur für alle Fälle. Aber vielleicht war es auch ein Gutschein und sie musste ihn abgeben.«
»Können wir mal nachschauen?«
»Klar.«
Paul Keegan stand rasch auf. Er schien sich der Dringlichkeit der Situation bewusst. Zielstrebig ging er zur Tür und Jessica hinterher. Sein Haus war nur ein paar Laufminuten entfernt. Er nahm eine Abkürzung und Jessica folgte ihm. Beide schwiegen und Jessica wurde es ganz flau im Magen. Plötzlich ergab alles einen Sinn, zumindest in den letzten beiden Fällen. Nigel Collins hatte ClaireHogan aufgespürt und sich wahrscheinlich mit ihr angefreundet, war ihr Freier geworden. Dann hatte er ihr Türschloss mit Klebstoff unbrauchbar gemacht und war zufällig zur Stelle, um es zu reparieren. Und einen Schlüssel für sich nachzumachen war kein Problem. Dann hatte er entweder selbst die Tür aufgeschlossen oder war als Kunde vorbeigekommen, hatte sie umgebracht und anschließend die Tür hinter sich abgeschlossen.
Auch das Motiv für die Aktion mit dem Schloss war jetzt klar. Es war, wie Hugo gesagt hatte, ein Ablenkungsmanöver. Während die Polizei sich den Kopf darüber zerbrach, wie der Mörder herein- und wieder herausgekommen war, übersah sie die Verbindung zwischen den Opfern. Sogar den Ärger, den die Opfer mit den Kindern aus der Nachbarschaft hatten, konnte er für sich ausnutzen. Sie machten die Kinder für die verklebten Schlösser verantwortlich und bemühten die Polizei erst gar nicht, weil die ja doch nichts unternahm.
Bei Mary Keegan war Nigel Collins wahrscheinlich ähnlich vorgegangen, nur in diesem Fall hatte er es noch geschickter angestellt und dafür gesorgt, dass sich die Keegans an ihn wandten, um neue Schlösser einbauen zu lassen. Er hatte zwar keine Garantie, dass der Trick mit dem Werbezettel klappen würde, aber einem Sonderangebot konnten die wenigsten widerstehen.
Die Christensens und die Princes hatten nach den Einbrüchen sicher auch neue Schlösser einbauen lassen. Die meisten Leute würden das sowieso tun, aber gewöhnlich verlangte das nach einem Einbruch auch die Versicherung. Wie Collins an die Schlüssel gelangen konnte, war allerdings noch nicht ganz klar. Es gab auch noch weitere Ungewissheiten. Wie hatte er etwa die Adressen der Opfer herausbekommen? Aber Jessica wusste, im Großen und Ganzen hatte sie den Fall gelöst.
Jetzt musste sie nur noch dem letzten, jedoch bedeutendsten Teil des Rätsels auf den
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