Eingesperrt - Jessica Daniel ermittelt (German Edition)
erzählen«, sagte er. »Letzte Nacht hat eine Frau angerufen, weil sie schon seit Tagen nichts mehr von ihrer Mutter gehört hatte. Sie macht die Tür nicht auf und die Tochter meint, sie kann das Handy ihrer Mutter im Haus hören.«
»Warum schließt sie denn nicht selber auf?«
»Keine Ahnung. Vielleicht hat sie keinen Schlüssel.«
»Und warum hat mich niemand angerufen?«
»Es geht doch nur um eine vermisste Person. So was haben wir doch ständig.«
»Mag sein. Aber ich fahre mit hin.«
»Hast du heute nicht frei?«
Jessica hörte ihn nicht mehr. Sie fragte einen Uniformbeamten nach der Adresse. Irgendwie kam ihr das Ganze bekannt vor. Es wurden tatsächlich häufig Leute vermisst gemeldet, aber wie viele von denen ließen ihr Handy zu Hause und schlossen die Tür ab? Wer verschwinden wollte, tat es einfach.
Sie setzte sich in ihren Wagen und fuhr los. Den Weg kannte sie ungefähr. Die Adresse war nicht weit von ihren beiden Tatorten, aneiner Hauptverkehrsstraße, die man möglichst nach Einbruch der Dunkelheit meiden sollte. Sie war bekannt für Straßenstrich, und außerdem hatte es dort im Laufe des letzten Jahres zwei brutale Überfälle gegeben. Jessica fand das Haus auf Anhieb, denn davor stand ein Kleinbus der Polizei.
Es war eine Erdgeschosswohnung neben einer Reihe heruntergekommener Läden. Die Wohnungstür befand sich seitlich am Haus und direkt daneben noch eine weitere Tür. Beide gingen auf einen Hof hinaus, wo anscheinend Waren für die Geschäfte angeliefert wurden, und dahinter erstreckten sich eine Rasenfläche und Brachland. Jessica ging zu den zwei Leuten vom Zugriffsteam, stellte sich vor und zeigte ihnen ihren Dienstausweis. Die beiden Beamten sagten, sie hätten Befehl, auf die uniformierte Polizei zu warten. Jessica fand auch bald heraus warum: Ein junges Mädchen, wahrscheinlich noch keine zwanzig, kam auf sie zugestürmt und zeigte mit dem Finger auf Jessica. »Sind Sie hier verantwortlich?«
»Nein.«
»Also wer dann?« Das Mädchen sah einen der Beamten an. »Warum brechen Sie nicht endlich die verdammte Tür auf? Vielleicht ist meine Mutter verletzt.«
Jessica hatte die Situation schnell erkannt. Das Zugriffsteam war gekommen, um die Tür zu öffnen, hatte aber wegen des aggressiven Verhaltens der Tochter zur Verstärkung die Uniformierten gerufen. Etwas abseits der Eingangstür stand eine Frau und rauchte. Sie war wesentlich älter als die Tochter der Vermissten, sicher über fünfzig. Jessica rüttelte am Türgriff, aber es war abgeschlossen, dann ging sie zu der anderen Frau.
»Hi«, sagte sie.
Die Frau sah sie von der Seite an, ohne zu lächeln, und sagte: »Alles klar?«
»Worauf warten Sie?«, fragte Jessica und bemühte sich, nicht zu aggressiv zu klingen.
»Ich wohne oben«, sagte die Frau und deutete auf die zweite Tür. »Ich bin aufgewacht, weil Kim so laut gerufen hat. Sie war gestern schon mal da und hat gefragt, ob ich ihre Mutter gesehen hätte.«
»Und?«
»Einen Dreck habe ich gesehen«, antwortete sie in aggressivem Ton.
»Verstehen Sie sich nicht mit ihr?«
»Was? Mit so einer? Die hat in ihrer Wohnung angeschafft. Da ging’s zu wie in einem Taubenschlag. Und dann der
Krach
! Und eure Truppe, die tut gar nichts dagegen.«
Jessica hatte zwar nicht gesagt, dass sie von der Polizei war, aber das war anscheinend auch nicht nötig. Die Frau hatte auch nicht ganz unrecht. Prostituierte auf der Straße anzusprechen war illegal, Prostitution an sich aber nicht. »Ihre Truppe« hatte wahrscheinlich wirklich nichts unternommen, aber es gab auch nicht viel, das sie tun konnten. Die Tochter, wahrscheinlich besagte Kim, kam über den Hof auf sie zugestampft. »Ich wette, du freust dich klammheimlich, was?«, schrie sie die Frau an.
»Lass mich in Ruhe, Kim. Ich habe dir gestern schon gesagt, dass ich Claire nicht gesehen habe.«
»Ach, red doch keinen Scheiß. Ständig bist du am Meckern, hämmerst gegen die Decke oder rufst die Bullen.«
Jessica stellte sich zwischen die beiden und zeigte auf ein Rasenstück zwischen ihnen und dem Zugriffsteam. »Okay, Kim, Sie gehen bitte da rüber«, sagte sie. »Es dauert nicht mehr lang.«
Kim funkelte sie an. Sie trug Jeans und ein enges, dunkles T-Shirt. Ihre blonden Haare hatte sie locker zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Wenn sie nicht einen so feindseligen Gesichtsausdruck gehabt hätte, hätte sie wirklich hübsch ausgesehen.
Kim wandte sich wieder der anderen Frau zu und fauchte: »Wehe, wenn du was
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