Eingesperrt - Jessica Daniel ermittelt (German Edition)
enthielten die Akten auch Fotos der Tatorte und Angaben zu Vernehmungen. Das meiste wurde im Zentralcomputer gespeichert, aber bei bedeutenden Fällen verwendeten sie immer noch Papier.
»Was hat er denn getan?«, fragte Caroline.
Jessica ignorierte die Frage und giftete stattdessen ihre Freundin an: »Und was hast du dir bei dieser Aktion gestern Abend eigentlich gedacht? Ich hatte doch gesagt, ich habe kein Interesse.«
Caroline war eindeutig schockiert von Jessicas aggressivem Ton. »Es tut mir leid, ich dachte nur …«
»Falsch gedacht.« Jessica stürmte mit den Ordnern in der Hand an den beiden vorbei und in ihr Zimmer, wo Ryan noch immer sein Hemd suchte.
»Raus hier!«
»’tschuldigung, ich gehe ja schon, ich gehe ja schon.«
Ryan fand schließlich sein Hemd auf dem Boden, schnappte es sich und ging aus dem Zimmer, wobei er sich noch einmal entschuldigte. Jessica knallte die Tür hinter ihm zu.
Gegen Abend war sie immer noch aufgebracht. Sie blieb bewusst länger als sonst in der Wache und ging anschließend mit ein paar Kollegen in den Pub. Aber es war nicht viel mit ihr anzufangen. Sie hatte nicht einmal Lust, Rowlands aufzuziehen. Auf der Wache hatten sich alle das Maul darüber zerrissen, dass die Neue ihm den Laufpass gegeben hatte. Diese Nachricht hatte sie etwas aufgemuntert, aber ihre schlechte Laune wollte trotzdem nicht vergehen.
Sie ärgerte sich immer noch vor allem über sich selbst. Sie hätte Ryan mit dem Taxi nach Hause fahren lassen sollen. Sie kannte ja nicht einmal seinen Nachnamen. Sie fragte sich, ob sie übertriebenreagiert hatte. Zuerst hatte sie gedacht, er hätte wirklich nur aus reiner Neugier in die Ordner geschaut. Aber dann fiel ihr ein, dass sie auf dem Boden unter ihrer Tasche gelegen hatten und nicht etwa auf dem Beistelltisch. Er hatte sie also bewusst aufgehoben, um darin herumzuschnüffeln.
Sie bereute jetzt, dass sie Caroline so angefahren hatte. Ihre Freundin hatte wirklich nur versucht, sie aufzumuntern. Abgesehen von dieser plumpen Verkupplungsaktion hatte sie sich nichts zu Schulden kommen lassen. Jessica war eine erwachsene Frau und für ihre Entscheidungen selbst verantwortlich. Und sie hatte sich entschieden, die Nacht mit Ryan zu verbringen. Dafür konnte Caroline nun wirklich nichts. Aber das Schlimmste war, dass Jessica zu stur war, um sich zu entschuldigen. Wie immer würde sie warten, bis Caroline sie um Verzeihung bat, und sich dann lang bitten lassen, bis sie ihr vergab.
Als sie an dem Abend nach Hause kam, war niemand da. Auf dem Beistelltisch im Wohnzimmer lag ein Zettel, auf dem stand: Sorry, LG.
Caroline übernachtete offenbar bei Randall. Im Gegensatz zur Nacht davor schlief Jessica sehr unruhig und wachte immer wieder auf. Am frühen Morgen gab sie schließlich auf und ging ins Wohnzimmer, um sich die Nachrichten anzusehen, die um diese Zeit ununterbrochen liefen.
Der nächste Tag war ein Samstag und Jessica hätte eigentlich frei gehabt. Sie wollte aber nicht zu Hause sein, wenn Caroline zurückkam. Die sollte ruhig noch ein bisschen leiden. Jessica war schon seit Stunden auf, als sie sich schließlich anzog, um sich auf den Weg zur Wache zu machen. Sie musste sowieso irgendwann hin, denn sie hatte ihr Auto dort gelassen, weil sie nach der Arbeit im Pub Alkohol getrunken hatte. Einige Beamte fuhren auch nach ein paar Bier noch Auto, denn sie konnten sich ziemlich sicher sein, dass ihre Kollegen beide Augen zudrücken würden. Jeder kannte die Übeltäter, und obwohldie meisten es nicht gut fanden, traute sich keiner, etwas zu sagen. Jessica hatte sich noch nie dazu hinreißen lassen, das Gesetz dermaßen mit Füßen zu treten, und hatte es auch nicht vor.
Sie musste den Bus nehmen und dann noch fünf Minuten bis zur Wache laufen. Sie nahm sich vor, ein paar Stunden zu arbeiten, wenn sie schon mal da war. Als sie kurz nach neun den Empfang betrat, war viel mehr los als sonst am Wochenende. Die in der Nacht aufgelesenen Betrunkenen und Unruhestifter waren um diese Zeit noch in ihren Zellen im Untergeschoss, deshalb war es normalerweise samstagmorgens relativ ruhig.
Sie fragte einen Uniformierten, was los sei. »Nicht viel«, antwortete er. »Es wird jemand vermisst. Der Anruf kam letzte Nacht. Wir müssen auch hin, um das Zugriffsteam zu unterstützen.«
»Warum das denn?«
»Mehr weiß ich auch nicht.«
Jessica wandte sich an den diensthabenden Sergeant, der immer über alles Bescheid zu wissen schien. »Mehr gibt’s da nicht zu
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