Eingesperrt - Jessica Daniel ermittelt (German Edition)
beruhigen. Mit dem Küchenpapier um die Hand öffnete sie die Tür gegenüber dem Schlafzimmer und warf einen Blick in das Zimmer. Auch hier befand sich ein Bett, aber es sah unbenutzt aus. Das Zimmer war größtenteils in Lila gehalten, Bettdecke und Teppich waren farblich abgestimmt. Die Wände hatten einen helleren Farbton. An der gegenüberliegenden Wand stand ein offener Schrank, der vor Kleidung nur so überquoll. Keines dieser Kleidungsstücke war für die Straße geeignet, wenn man vom Straßenstrich einmal absah. Am Boden lag überall normale Alltagskleidung verstreut, Jeans und T-Shirts. Im Vergleich zu diesem Durcheinander war Jessicas eigenes Zimmer geradezu ordentlich.
Sie schloss die Tür wieder und öffnete die nächste. Sie führte in das schlichte Badezimmer: Dusche, Toilette, Waschbecken. Sie sah Shampoo, Seife, nichts Ungewöhnliches. Sie schloss die Tür und ging zum Wohnzimmer.
Es war zwar nicht aufgeräumt, aber wesentlich sauberer als die Küche und das zweite Schlafzimmer. An einer Wand stand ein bequem aussehendes, hellrosa Sofa und gegenüber hing ein Flachbildfernseher. Auf dem Boden lagen Klatschmagazine und in Regalen standen CDs und DVDs, darunter auch ein paar Titel, die sie kannte und mochte. Oben auf den Regalen standen ein paar gerahmte Fotos: das lächelnde Gesicht einer Frau – höchstwahrscheinlich die, die nebenan lag; ein Foto von Kim, als sie noch jünger war; dann eines von einem anderen Mädchen. Auf dem nächsten Foto war wieder Kim, etwa zwölf Jahre alt, mit dem anderen Mädchen und einem Jungen. Sie standen an einem Strand und grinsten in die Kamera. Auf keinem der Fotos war ein Mann zu sehen, der der Vater hätte sein können. Das Wohnzimmer wirkte ganz anders als der Rest der Wohnung.
Unbefleckt.
Jessica konnte es irgendwie verstehen. Wenn man einen Großteil seines Lebens einer solchen Beschäftigung opferte, brauchte man vielleicht einen Ort, an dem man alles vergessen konnte. In der Küche wurde bezahlt, im ersten Schlafzimmer vollzog man das Geschäft, das auch das zweite Schlafzimmer und das Bad mit in Anspruch nahm. Deshalb blieb als Rückzugsort nur das Wohnzimmer.
Jessica ging noch einmal ins Zimmer, wo sich die Tote befand, um es erneut unter die Lupe zu nehmen, bevor die Spurensicherung kam. Die Deckenlampe war angeschaltet, aber ein schwarzer Lampenschirm dämpfte das Licht. Nur das blonde Haar des Opfers leuchtete trotz Blut ganz hell. Die Satinbettwäsche war dunkelviolett, aber die Blutflecken waren auch hier deutlich zu sehen. Da der Hals der Toten unter ihren Haaren verborgen war, konnte Jessica nicht sehen, ob sie dort Einschnitte hatte.
Da sie hier nichts weiter tun konnte, verließ Jessica die Wohnung. Es gab nur eine Eingangstür und die einzigen beiden Fensterbefanden sich im Wohnzimmer und zweiten Schlafzimmer. Bei beiden waren die Vorhänge zugezogen. Jessica hatte sich gar nicht erst die Mühe gegeben nachzusehen, ob die Fenster verriegelt waren, denn sie kannte die Antwort.
Sie wollte sich nicht wieder ablenken lassen.
Ein Beamter tröstete Kim, während ein anderer mit der Nachbarin sprach. In der Ferne waren Sirenen zu hören. Sie trug einem der Beamten auf, Kim und die Nachbarin auf die Wache zu bringen, und sagte, sie würde bald nachkommen.
»Aber nicht verhaften oder einsperren«, fügte Jessica hinzu. »Stecken Sie sie mit einem Beamten in einen Warteraum, bitte nicht in eine Zelle.«
Es würde mal wieder ein stressiger Samstag werden.
Auf der Wache mussten sie zuerst einmal herausfinden, ob Kim volljährig war. Nach ihrem Aussehen war es schwer zu beurteilen. Falls nicht, musste jemand her, der als Vormund fungieren konnte. Obwohl Kims Stimmung weiter zwischen blanker Aggression und tiefer Trauer schwankte, gelang es Jessica, ihr zu entlocken, dass sie eine ältere Schwester hatte. Sie hieß Emily Hogan und wohnte in der Nähe. Sie schickten einen Wagen hin, um sie abzuholen. Schnell hatten sie auch herausgefunden, dass es keinen Vater gab.
»Ich habe keinen Dad«, sagte Kim nur.
Jessica wollte fragen, wer der Junge auf dem Foto im Wohnzimmer war, nahm aber an, dass sie es früh genug erfahren würde. Kim war ganz offensichtlich nicht gut auf die Polizei zu sprechen und zeigte sich nicht sehr kooperativ. Sie rief: »Als sie noch lebte, habt ihr euch einen Dreck um sie geschert« und ähnliche Anklagen. Jessica wollte ihr zwar Zeit lassen, sich mit ihrem Verlust auseinanderzusetzen, andererseits brauchte sie Antworten auf
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