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Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Titel: Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef H. Reichholf
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Komodowarane wurden nachträglich, erst in unserer Zeit, als »Drachen« benannt, nachdem ihre Lebensweise auf Fotos und in Filmen entsprechend sensationsheischend dargestellt worden war. Die Warane kommen daher meiner Ansicht nach als Vorbild für die Drachen nicht in Frage. Nicht von ihnen, sondern ungleich mehr von tödlich giftigen Schlangen, wie den Kobras, gingen Gefahren für die Menschen aus. Doch von Südasien bis Nordafrika verstanden es seit alten Zeiten die Schlangenbeschwörer, mit Giftschlangen umzugehen. Es bestand keine Notwendigkeit, sie in mythische Drachen umzuwandeln. Dazu wären sie auch viel zu vertraut gewesen.
    Von ganz anderem Kaliber als die großen Warane sind die Krokodile. In Afrika fallen dem Nilkrokodil ( Crocodylus niloticus ) mehr Menschen als den Löwen zum Opfer. Vom Persischen Golf bis nach Nordostaustralien ist das Leisten- oder Salzwasserkrokodil ( Crocodylus porosus ) entlang der Küsten an Flüssen und Lagunen als »Menschenfresser« gefürchtet. Es gilt mit bis zu zehn Metern Länge als das größte und mit Abstand gefährlichste unter den lebenden Krokodilen, aber das Nilkrokodil steht ihm in Größe und Angriffsbereitschaft kaum nach. Krokodile greifen urplötzlich aus dem Wasser heraus an. Sie töten, indem sie die erfasste Beute unter Wasser drücken und ertränken. Mit ungemein kraftvollen Seitwärtsbewegungen des Kopfes reißen sie ganze Körperteile ab. Ihre aus Knochenplatten unter der ledrig-derben Haut bestehende Panzerung machte sie bis zur Entwicklung durchschlagskräftiger Feuerwaffen unangreifbar für Beschuss mit Pfeil und Bogen oder das Speeren mit Lanzen. Allenfalls Kehle und Bauch wären verwundbare Bereiche an den Panzerechsen, doch diese Partien zeigen sie in aller Regel nicht. Sehr gefährlich sind die Schläge mit dem Schwanz, die allein schon einen Menschen oder ein von Wanderhirten zum Wasser gebrachtes Haustier töten können. Wer in Gebieten lebte, in denen es Nil- oder Leistenkrokodile gab, tat gut daran, die Orte ihres Vorkommens zu meiden. Die Herden konnten nur mit größter Vorsicht ans Wasser geführt werden. Allerdings schränkten zwei Umstände die wirkliche Gefahr stark ein. Erstens brauchen Krokodile nur sehr selten Nahrung, weil sie langsam und gründlich verdauen und ihr Stoffwechsel auf sehr niedrigem Niveau verläuft. Zweitens verbringen Nilkrokodile die Trockenzeit, in der das Wasser knapp wird, in Schlammlöchern in einer Art Schlafzustand. Über Wochen oder Monate geht daher von ihnen keine Gefahr aus. Wo Salzwasserkrokodile leben, wird kein Vieh zum (salzigen) Wasser getrieben. Fischer, die mit kleinen Booten, z.B. Einbäumen, flache Gewässer mit Krokodilen befahren, geraten am ehesten in Gefahr. Das Nilkrokodil ist zudem viel weiter als das Salzwasserkrokodil landeinwärts verbreitet. Es kam bis zu seiner Zurückdrängung durch Abschuss fast überall im tropischen und randtropischen Afrika vor, wo es Seen, Flüsse und Sümpfe gibt. Zum Drachenmythos hätten die Großkrokodile also vor allem in Süd- und Südostasien sowie in Afrika werden können. Die Geographie der mythischen Drachen passt weder mit den Vorkommen der Krokodile noch mit einigen wichtigen ihrer Eigenschaften zusammen. Davon gleich mehr.
    Betrachten wir vorher noch fossile und spirituelle Drachen.
    Funde versteinerter Knochen riesenhafter Reptilien verliehen den Drachenmythen gleichsam feste Substanz. Schädel mit Zähnen so groß wie bei keinem lebenden Tier schienen die Vorstellungen, was Drachen gewesen sein könnten und wie sie ausgesehen haben sollten, zu bestätigen. Lange Zeit galten sie als Beweise dafür, dass es Drachen wirklich gegeben hatte. Doch die Wissenschaft entzauberte diese Fossilien von ihrem Sagenhaften und wies sie einer längst ausgestorbenen Gruppe von Reptilien zu, die sie mit der Sammelbezeichnung Dinosaurier (= Schreckensechsen) benannte. Diese Reptilien gibt es aber schon lange nicht mehr. Sie lebten im Erdmittelalter, also weit vor der Zeit der Menschen. Nicht einmal in deren frühester Frühzeit unserer Entwicklungsgeschichte gab es sie noch. Die letzten Dinosaurier starben vor gut 65 Millionen Jahren aus; die Gattung Mensch gibt es aber erst seit zwei bis zweieinhalb Millionen Jahren. Nicht einmal Menschenaffen hatte es in der Ära der Dinosaurier gegeben. Damals lebten nur ursprüngliche, von den heutigen Formen sehr verschiedene Säugetiere. Somit können in unseren Köpfen auch keine uralten Erinnerungen an die Riesenechsen

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