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Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Titel: Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef H. Reichholf
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rumorten (8) darin so heftig, dass die Menschen nicht wagten, in die Drachenhöhlen einzudringen. Aber man wusste, dass sie (9) darin Schätze wie Gold und Edelsteine horteten. Drachen terrorisierten (10) die Menschen der Gegend, in der sie eine Höhle bezogen hatten, und beanspruchten von diesen Nahrung nach Menschenart. Hinzu kam (11) von Zeit zu Zeit ihr Bedarf an Jungfrauen. Und (12) sie verschwanden nach geraumer Zeit auch wieder.
    Regional kamen zu diesen allgemeinen Eigenheiten der Drachen besondere hinzu. So gab es im Gebirge auch Flugdrachen, die brennend (!) die Täler überflogen. Drachen suchten nur bestimmte Regionen heim, insbesondere Bergländer, jedoch keineswegs alle, während sie anscheinend von weiten, offenen Ebenen oder sumpfig-flachen Seeufern und weiten Sandstränden am Meer nichts hielten. Als Tiere hätten sie zu den Bergwaldbewohnern gezählt werden müssen, nicht zu Monstern aus Sümpfen, wie die großen Krokodile. Besondere Helden schafften es, die Drachen zu töten, weil sie deren verwundbare Stelle(n) kannten.
    Im Mittelalter wurden Drachen dem staunenden, leichtgläubigen Publikum wie zahme Haustiere vorgeführt, wobei es sich offensichtlich um Nachbildungen gehandelt hatte, in denen Menschen steckten, wie wir das von »Pferden« im Fasching oder Zirkus kennen. Zwei Männer schlüpfen dazu in ein entsprechend gestaltetes, oft nach Art von Zebras gestreiftes Pferdehemd mit Kopf aus Pappmaché, lassen sich herumführen, keilen aus und werden sogar »geritten«. Wenn edle Ritter mit dem Zeichen des (über die heidnischen Vorstellungen siegreichen) Kreuzes einen entsprechend gestalteten Drachen im Mittelalter vorführten, mochte das Publikum glauben, Echtes zu sehen, wie bei den vielfältigen Taschenspielertricks der Gaukler. Solche Drachen hatten zwar ein Innenleben in Form von Menschen, waren aber nicht lebendig und das dürfte wohl so manchem Zeitgenossen durchaus bewusst gewesen sein. Doch das spielte keine Rolle, weil es um die Illusion des gefangenen und gezähmten Drachen ging.
    Nehmen wir uns diese Zirkusversion etwas genauer vor und greifen wir dazu die alte Bedeutung der Bezeichnung ›Lind(t)wurm‹ auf. Im Gegensatz zum Bedrohliches ausdrückenden Wort Drache meint dieser alte Ausdruck einen »schönen Wurm«. Mit der Linde als Baum hat der Name nicht direkt zu tun, vielmehr überdauerte er den Wandel der Sprache im Frauennamen ›Linda‹, die Schöne! Und schön oder angenehm bedeutet ›lindo‹ auch im Spanischen. Damit stoßen wir auf einen merkwürdigen Kontrast. Wie kann der »schöne Wurm«, der Lindtwurm, der bedrohliche Drache sein? Schaurig schön vielleicht?! Und wie kommt der Drache an der Schnur in die Luft? Woher kommt die Bezeichnung Drache? Der »Kluge«, das Etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache (24. Auflage von 2002) führt es auf das griechische Wort drakon zurück, das sogleich an die »drakonischen Strafen« erinnert, die der um 650 v.Chr. geborene Athener Drakon im Jahre 621 in (zweifellos harte) Gesetzestexte gefasst hatte. Damit löste er allerdings schlimmere Formen der Bestrafung ab, die früher üblich waren, auch wenn uns die »drakonischen Strafen« aus heutiger Sicht überzogen hart vorkommen. Mit draco übernahmen die Römer das Wort in ihre lateinische Sprache. Althochdeutsch ist es als trahho , altnordisch als drecki erhalten. Die Nähe zum lateinischen trahere (= ziehen) und (englisch) treck führt zu einer ergänzenden Deutung, die zum Lindwurm passt. Der Drache war ursprünglich so etwas wie ein »Zug« gewesen; ein durchaus schöner (Um)Zug, der sich schlängelte. Jedenfalls führt sein Namensursprung nicht zwangsläufig zu einer reptilienartigen Tiergestalt. Der »Kluge« bringt dazu folgende Erläuterung: »Das griechische Wort (gemeint ist drakon ) bedeutet eigentlich ›der scharf Blickende‹ zu griechisch dérkomai , ›ich sehe‹. Das Fabeltier galt als geflügeltes Reptil mit lähmendem Blick.« Und beim Stichwort ›Dragoner‹ erläutert dieselbe Quelle »Leichter Reiter (ursprünglich Infanterist, der sich auch zu Pferde fortbewegen kann) … Entlehnt aus dem französischen dragon , dieses aus lateinisch draco … ›Drache‹ aus griechisch drakon .« So kommt der »Kluge« über die Dragoner-Reiter auch zur anderen Form des Drachen, nämlich zu einem Reiterzug! Das ist nun ein sehr interessanter Befund, denn damit weicht der Ursprung des Wortes Drache noch weit stärker von einem tierischen Vorbild ab, als das

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