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Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Titel: Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef H. Reichholf
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laute Menschenmenge hatte sich versammelt. Elefant und Nashorn wurden aufeinander losgelassen. Das Nashorn zeigte sich unbeeindruckt. Der wohl noch zu junge Elefant geriet in Panik und lief unter dem Johlen der Menschenmenge davon, ohne sich zum Kampf zu stellen. Das vom Mythos verklärte Rhinozeros hatte mit diesem Sieg durch bloßes Erscheinen noch mehr Ansehen gewonnen. Manuel I. hielt es bis Ende des Jahres 1515 in seiner Menagerie. Dann wurde es erneut auf ein Schiff gebracht. Der Medici-Papst Leo X. sollte es als Geschenk erhalten. Die portugiesische Krone wollte sich damit das Wohlwollen des Heiligen Stuhles sichern. Manuel I. wusste um die Wirkung solcher Gesten. Ein Jahr vorher hatte er dem Papst bereits einen Indischen Elefanten namens Hanno geschenkt. Die Fama des Nashorns war zudem schon bis nach Rom vorgedrungen. Ein Dichter hatte launige Verse darüber verbreitet. Zum Transport über das westliche Mittelmeer bekam es zu seinem Lederhalsband einen grünen Kragen aus Samt, der mit vergoldeten Ösen ausgestattet und mit Rosen geschmückt war. Doch da der gerade in der Provence weilende König von Frankreich das Nashorn auch sehen wollte, wurde die Reise dafür am 24. Januar 1516 an einer kleinen Insel in der Bucht von Marseille unterbrochen. Von dort aus ging es weiter – aber nicht nach Rom, sondern in den Tod. Denn das Segelschiff geriet vor der ligurischen Küste in einen Wintersturm und havarierte. Das Nashorn ertrank, weil es mit schweren Ketten ans Deck gefesselt worden war. Seine Reise war damit noch immer nicht zu Ende. Das tote Rhinozeros wurde nämlich bei Nizza wieder an Land gespült und aufgefunden. Die Haut hatte sich gut gehalten. Man schickte sie nach Lissabon zurück, wo diese ausgestopft und präpariert wurde. Lebensnah aufgestellt, gelangte es nun mit mehreren Wochen Verspätung doch noch nach Rom. Es fand dort wenig Beachtung. Seine Spur verlor sich mit der Zeit. Berühmt wurde es auf ganz andere Weise.
    In Lissabon hatte der Kaufmann Valentin Fernandes das Rhinozeros gesehen. Beeindruckt, wie er war, schrieb er einem Nürnberger Geschäftsfreund davon. Ein weiteres Schreiben, dessen Absender nicht bekannt ist, gelangte zusammen mit einer recht guten Skizze des Tieres gleichfalls nach Nürnberg. Beide kamen in die Hände von Albrecht Dürer. Dieser machte eine Zeichnung mit Feder und Tinte auf Papier. Das Original davon befindet sich im Britischen Museum in London. Eine weitere Skizze fertigte Dürer für einen speziellen Zweck. Sein Formschneider erhielt sie als Vorlage für einen Druckstock. Mit diesem wurde nun der berühmte Holzschnitt des Dürer’schen Nashorns vervielfältigt. In der Beschreibung dazu ist allerdings die Ankunft des Nashorns in Lissabon mit dem Jahr 1513 falsch angegeben. Dürer selbst sah also das Rhinozeros nie. Dass er dennoch eine durchaus passable, den Interessen der Zeit entsprechende Darstellung zustande brachte, drückt sein Genie aus. Dürers Bild ist es auch zuzuschreiben, dass das Indische Nashorn den deutschen Namen Panzernashorn erhielt. Die Panzerung, insbesondere die »Kettenpanzerung« an den beweglichen Teilen der Haut, hatte Dürer allerdings stark übertrieben und mittelalterlichen Rittern nachempfunden. Eine Erfindung Dürers oder seiner Gewährsleute ist auch das nach vorn gerichtete Horn auf dem Vorderrücken. Es hätte einen passenden Sattelknauf für die Zügel eines Panzerreiters abgegeben. Überhaupt würde ein Ritter bestens auf den »Sattel« dieses Nashorns passen. Dürers Bild wurde zwei Jahrhunderte lang immer wieder kopiert, bis 1746 ein weiteres Panzernashorn, Clara genannt, nach Europa gelangte. Ein Holländer zog mit ihm von Stadt zu Stadt. Auch dieses stammte aus Indien. Afrika war den Europäern damals noch immer der finstere Kontinent.
    Dabei hatten bereits die Alten Römer afrikanische Nashörner bestaunt. Die Kaiser Domitian, Commodus und Caracalla hielten welche in ihren Menagerien für den Circus. Die beiden afrikanischen Arten, das Spitzmaul- und das Breitmaulnashorn gab es zu Zeiten der Römer noch in Teilen Nordafrikas, wohin sich später die Sahara ausgebreitet hat. Die eher trägen, was ihre Kampfbereitschaft anbelangt unberechenbaren afrikanischen Nashörner eigneten sich nicht sonderlich für die Tierkämpfe im römischen Circus. Da boten die Schlachten zwischen Gladiatoren und hungrigen, gepeinigten Löwen schon erheblich mehr Nervenkitzel. Die riesigen Nashörner mit ihren tonnenschweren Körpern waren als

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