Einige werden überleben
hilflos dem Ende ins Gesicht.
Der Mann mit dem Anzug, der entfernt nach Armee aussah, stützte sich an einem Laternenpfahl ab und kletterte auf die Mauer am Union Square. Über seinem Kopf schwenkte er wild die blau-silberne Fahne der Vereinigungsarmee.
„Hört mir zu!“ rief er. „Hört mir zu, Bürger! Ich war in Philadelphia. Ich war über drei Jahre bei Berendtsen. Und ich sage euch, zur Hölle mit diesem Wahnsinnigen, und zur Hölle mit seiner Fahne!“ Er riß den silbernen Streifen ab. „Ich habe genug von der Farbe der Bajonette!“ Er warf die zerrissene Fahne zur Seite und schwenkte eine andere über seinem Kopf, die dieses mal blau und rot gefärbt war. „Das hier ist die Fahne für mich! Blau für die Ehre, und Rot für das Blut, das Berendtsen getrunken hat!“
„Aber kein Weiß für Reinheit“, murmelte Mary Berendtsen in sich hinein, die am Rande der Menge stand. In der tobenden Masse am Abend vor der Wahl hörte sie niemand. Zu ihrem Glück wurde sie auch von niemandem erkannt.
Garvin lächelte dem neuen Verbindungsoffizier freundlich zu. „Sie sind sich doch sicher über ihre Pflichten im klaren, Oberst. Also, hier ist der Text für Ihre allabendliche Nachricht an Berendtsen.“ Und die Leiche Brent Mackays trieb langsam den Hudson hinab zu dem breiten, wartenden Ozean.
2
Jim Garvin hatte seine Hände tief in die Taschen gesteckt. Er hörte dem Wind zu, der düster durch das Lagergelände pfiff und die Zeltwände knattern ließ. Der Wind war so kalt, daß sein Atem sich in unangenehmer, spröder Nässe auf seinem dicken Kragen niederschlug. Er zitterte heftig, als ein plötzlicher Windstoß sein empfindliches rechtes Bein wie mit Nadeln traf, jenes Bein, das immer noch leicht reizbar war, seit es vor zwei Jahren bei der Besetzung von Jacksonville von einer Schrotladung getroffen worden war, die den Knochen verletzt hatte. Durch die verkümmerten Pinien im Osten fiel ein dünnes Licht. Es würde ein kalter, elender Tag werden.
Er sah auf seine Armbanduhr und ging zum nächsten Zelt. Er war froh, sich bewegen zu können. Als er den Eingang aufknöpfte, hatte er mit seinen steifen Fingern Mühe, mit dem engen Verschluß fertig zu werden. Er schüttelte den ersten der beiden Männer, die innen schliefen, am Kopf. „Hallo, Miller, auf geht’s!“
Miller grunzte irgend etwas zusammenhanglos in sich hinein und wachte auf. Er wickelte sich aus seiner Rolle von Decken heraus, griff mit einer blinden Bewegung seines Arms nach seinem Helm, setzte ihn auf und kroch aus dem Zelt. Den zweiten Mann stieß er mit dem Stiefel an. Unter den Decken, die er noch immer umgehängt hatte, verschloß er den Reißverschluß seiner Jacke. Erst dann zog er sich die Decken von den Schultern und warf sie in das Zelt zurück. Begley, der zweite Mann in dem Zelt, kam nach ihm herausgekrochen. Er fluchte in sich hinein, als er Miller die Fahnentasche aus Leinen übergab.
„Das ist wieder ein scheißkalter Tag“, sagte Begley grimmig, als er sein Signalhorn aufnahm.
„Dieser dreckige Süden hat uns das ganze Blut herausgepreßt“, stimmte Miller ihm zu.
Garvin knurrte. Wenn er sich überhaupt die Mühe machte, darüber nachzudenken, hatte er irgendwie immer angenommen, daß die letzten Tage dieses Feldzuges genauso sein würden wie jene Tage damals, als die noch junge Vereinigungsarmee an der Grenze von Jersey entlang nach New York zurückgekommen war – in kaltem, klarem Wetter mit dem Versprechen des kommenden Winters. Nun war statt dessen der Winter fast vorüber und der Boden mit Regen und getautem Frost vollgesogen. Der rauhe Wind ging einem bis in die Eingeweide. Es würde noch einen guten Monat dauern, bis das Wetter wieder einigermaßen erträglich sein würde.
Wenn man jedoch bedachte, wie es bei der letzten Heimkehr gewesen war, war es wahrscheinlich ebensogut, wenn es dieses Mal anders sein würde. Also knurrte er nur.
Sie gingen über das Lagergelände zu Berendtsens Wagen, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Als sie dort angekommen waren, hing Miller die Fahne in die Schnüre des Mastes ein, während Begley ein Mundstück in sein Signalhorn drehte. Garvin stand ohne Bewegung neben dem Wagen. Den Kopf unter dem grauen Helm hielt er bewegungslos und aufgerichtet. Die grünen Dienstgradabzeichen waren von einem Mantel aus Rauhreif bedeckt. Seine Schultern hielt er gerade, und seine Stiefel bildeten einen Winkel von fünfundvierzig Grad.
Er sah wieder auf seine Uhr.
„Heißt …“ Er
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