Einkehr zum toedlichen Frieden
Möglichen zu hindern.
Einen potenziellen Ehemann kennenzulernen, Kinder zu kriegen, einen
Freundeskreis aufzubauen, mich von meinem Lebensmittelpunkt zu entfernen oder
mich einfach nur frei zu bewegen. Die Stimme, auf die ich so oft vergeblich
gewartet habe, nervt jetzt nur. Ich erwarte Langers Anruf, die frohe Botschaft,
dass mich nicht länger das Gefängnis erwartet. Begreife aber, dass ich endlich
aus einem Gefängnis ausgebrochen bin, in das ich mich vor langer Zeit selbst
eingewiesen habe.
»Es ist vorbei«, sage ich wie schon so oft in den vergangenen
Jahren. Aber zum ersten Mal ganzherzig, und noch nie ist bei diesem Satz ein so
wohliges Gefühl in mir aufgestiegen.
»Man muss ja nicht alles so endgültig sehen«, setzt er wieder an.
»Man muss gar nichts«, beende ich fröhlich das Gespräch, drücke auf
den Knopf und widme mich wieder der Kalbsleber, die genauso blutig gebraten und
mit Salbei gewürzt ist, wie ich es gern habe. Ananas-Ingwer-Marmelade vom
Frühstücksbuffet verleiht der Komposition noch eine feinere Note. Während ich
Blätter des Endiviensalats unter den Kartoffelbrei menge, meldet sich das Handy
wieder.
»Ich habe nichts mehr zu sagen«, spreche ich mit vollem Mund hinein.
»Aber ich«, meldet sich Marcel Langers Stimme. »Sie haben geerbt.
Wir haben das Testament Ihres Vaters gefunden.«
Rasch schlucke ich den Happen runter.
»Aber der ist doch schon vor zwei Jahren gestorben!«
»Ihr Bruder hat das Testament damals nicht vorgelegt.«
»Was bedeutet das für mich?«
Ich rechne mit dem Hinweis auf ein Mordmotiv. Langer überrascht
mich: »Dass Sie keine tausend Euro Miete mehr zu bezahlen brauchen. Sondern
viel mehr Geld investieren müssen, für diesen verkommenen Hof wieder
herzurichten.«
»Ist das momentan meine einzige Sorge?«, frage ich misstrauisch.
»Nein«, sagt er. »Für sich die andere anzusehen, müssten Sie schon
herkommen. Am besten sofort. Sie wissen ja, wo es ist.«
Ich bestreiche ein Vollkornbrötchen mit der Ananas-Ingwer-Marmelade,
schiebe den Rest der Kalbsleber zwischen die Hälften und wickele dieses
Überbleibsel meines Mittagessens in eine Papierserviette. Das Bündel ruht auf
dem Beifahrersitz, als ich den Berg hinauf ins Örtchen Kehr fahre.
Etwa zweihundert Meter vor dem modernen Autohaus und hundert hinter
dem grünen Schild Kehr biege ich rechts von der
bundesdeutschen Straße in den väterlichen Hof ein und befinde mich somit wieder
in Belgien.
Als ich aussteige, blicke ich über die Straße nach
Nordrhein-Westfalen und sehe aus den Augenwinkeln eine kleine schmale Gestalt
ins verklinkerte Haus gegenüber huschen. Klar, Frau Mertes, die Putzfrau, die
mein Auto und ein Handgemenge gesehen sowie aufgeregte Stimmen gehört haben
will. Kurz überlege ich, wie viele aufgeregte Stimmen ich in meiner Berliner
Mietskaserne nie gehört haben mochte – und da sollte es möglich sein, einen
Streit quer über eine Bundesstraße zu vernehmen? Nun, selbst am helllichten Tag
herrscht hier bis auf ein undefinierbares hektisches Schwirrgeräusch
tatsächlich erstaunliche Stille.
Noch bevor ich die Autotür wieder zuschlagen kann, stürzt ein
riesiger schwarzer Kugelblitz auf mich zu. Entsetzt springe ich zur Seite. Der
Höllenhund, denn ein solcher muss es sein, beachtet mich überhaupt nicht. Er
hopst zielstrebig auf den Fahrersitz, schnappt sich mein Mittagessen und
verschlingt es augenblicklich.
»Linus hat leider überhaupt keine Manieren«, begrüßt mich Marcel
Langer. Er tritt näher heran und klopft dem schwarzen Ungeheuer zärtlich auf
die Hinterflanken. Der Hund lässt sich rückwärts aus dem Wagen gleiten und
wendet sich mir mit heraushängender Zunge und einem unverschämt dankbaren Blick
zu.
»Rufen Sie Ihren Köter zurück!«, schreie ich und umklammere
unwillkürlich den Arm des Polizisten. Ein grässlicher Hund. Zwischen weit
geöffneten Lefzen blitzt kurz ein Fetzen blutiger Papierserviette auf. Das Tier
lässt sich mir zu Füßen nieder, stößt einen fiependen Laut aus, der eher zu
einem Schoß- als einem Bluthund passt, legt den riesigen Kopf zur Seite und
mustert mich aus braunen Augen.
»Der Hund kennt Sie«, bemerkt Langer.
»Woher denn!«, gifte ich.
Langer wirft mir einen vorwurfsvollen Blick zu. Ich ihm auch.
»Es ist nicht mein Hund, sondern Ihrer«, setzt der Polizist hinzu.
»Jedenfalls jetzt.«
Ich lasse Langers Arm los, weiche zurück und erkläre: »Nee. Den
behalten Sie mal schön selbst.«
Als Berlinerin bin ich
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