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Einkehr zum toedlichen Frieden

Einkehr zum toedlichen Frieden

Titel: Einkehr zum toedlichen Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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sein Schlafzimmer ausgesucht. Nachdem ich
die verstaubten Gardinen in Dunkellila zur Seite geschoben und mit großer
Anstrengung die eingerosteten Scharniere der zugeklappten Fensterläden in Bewegung
gesetzt habe, eröffnet sich mir ein grandioser Ausblick auf eine unendlich
weite Landschaft mit sanften grünen Hügeln, Wäldern und Wiesen. Dass es hier
überhaupt Zivilisation gibt, lassen nur ein paar Windräder und vereinzelte
Gehöfte in weiter Ferne erahnen.
    Überwältigt bleibe ich am offenen Fenster stehen. Wenn ein Blick
eine Offenbarung sein kann, dann ist dieser eine.
    Anna Klein, denke ich voller Trauer, wie hast du eine solche Gegend
nur gegen die Berliner Straßenschluchten eintauschen können?
    Nie war mir meine Mutter näher, als in diesem Augenblick. Zum ersten
Mal vermeine ich, den Schmerz zu spüren, der sie stets wie eine Aura umgeben
hat, den ich früher aber nie wirklich habe einordnen können.
    Warum war sie von hier weggegangen? Weil Karl Christensen
verheiratet war. Aber weshalb gibt es nirgendwo einen Hinweis auf die Mutter
meines Bruders? War sie tot? Wahrscheinlich. Aber wann war sie gestorben? Und
warum hat meine Mutter Karl Christensens Briefe unbeantwortet gelassen?
    In der Stille höre ich meinen Magen knurren. Irgendetwas Essbares
würde auch ein so verschrobener Mensch wie mein Bruder im Haus haben. Kaum habe
ich die Küchentür geöffnet, als schon der lästige Hund an mir vorbeifegt, sich
vor dem Kühlschrank auf die Hinterbeine setzt und bellt. Ein Topf auf dem Herd
enthält eine bis zur Unkenntlichkeit zerkochte Masse, die nach Fleisch stinkt
und wohl auch etwas damit Verwandtes enthält. Als ich den Topf auf den Boden
stelle, verschwindet augenblicklich der Hundekopf darin und schiebt das Gefäß
mit jedem Schmatzen weiter von mir fort. Ich öffne die Kühlschranktür.
    Nein, ein Sohn meiner Mutter war mein Bruder bestimmt nicht. So
einer hätte weder Supermarktkuchen nahe dem Gefrierbereich austrocknen lassen,
noch eine Filmrolle in der Butterdose aufbewahrt. Ganz bestimmt hätten bei
einem solch nahen Verwandten die Wurstscheiben keine Chance erhalten, sich so
weit zu erheben, dass sie fast die Kühlschranktür von innen hätten öffnen
können. Das blaubleiche Huhn in Plastikfolie ist laut Verfallsdatumsstempel
letzte Woche schon nicht mehr genießbar gewesen. Daneben liegt eine
zugetackerte Tüte, deren Kassenzettel wirklich interessante Käsesorten
ankündigt. Mit spitzen Fingern entnehme ich sie der Salmonellenfalle und werfe
die Kühlschranktür zu. Jetzt brauche ich nur noch geeignete Zutaten.
    Ich schiebe angeekelt drei Aschenbecher mit halb gerauchten
Zigaretten, Zigarillos und Zigarren zur Seite, öffne die obere Tür des
Küchenbuffets und starre entsetzt auf ein Fach mit Tabakwaren. Hat sich dieser
Mensch etwa ausschließlich von Qualm ernährt? Im unteren Schrank entdecke ich
die abscheulichste Erfindung der Einmachkunst, das Letzte, was ich auf einem
Eifeler Bauernhof erwartet hätte: geschälte, in Wasser eingelegte Kartoffeln.
Ich ziehe das Glas heraus, sehe dahinter eine Dose Corned Beef und ein Glas
Birnenkompott und stoße dann auf eine vereinsamte Zwiebel mit vielen Sprossen.
    Nachdenklich betrachte ich die schwimmenden Miniaturkartoffeln, gebe
mir einen Ruck und beginne ohne Beachtung eines Verfallsdatums mein Menü
zusammenzustellen. Nachdem ich die weißen Ovale aus der muffigen Lake gefischt,
in Scheiben geschnitten und in Olivenöl angebraten habe, gebe ich Zwiebelwürfel
und Corned Beef dazu und lasse in jedem Teil der Pfanne eine andere Käsesorte
ganz kurz warm werden. Dann garniere ich das Ganze mit Birnenkompott und
bröckele etwas Supermarktkuchen darüber. Ein Bourgogne aus der Speisekammer
erweist sich als vorzügliche Begleitung dieser Komposition.
    Solchermaßen gestärkt, will ich sämtliche Fenster des Hauses
aufreißen, um bei frischer Luft in Helligkeit mein neues Domizil weiter zu
erkunden. Doch als ich in den Flur trete, springt Linus an mir vorbei zur
Haustür und beginnt laut zu bellen. Er will raus.
    »Du hast doch gerade erst gefressen«, weise ich ihn zurück. »Da kann
doch noch gar nichts unten angekommen sein!«
    Vom tierischen Verdauungsvorgang verstehe ich zwar nichts, kenne
aber aus leidvoller Berliner Erfahrung den Hang von Hunden zur Düngung der
Bürgersteige. Die es hier auf dem Land nicht gibt; dafür aber jede Menge
Auslauf. Und da sich Linus besser auskennt als ich, soll er gefälligst
selbstverantwortlich Gassi gehen.

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