Einkehr zum toedlichen Frieden
aber laut: »Das ist strafbar.«
»Richtig. Und seine … sagen wir mal … Klienten lieferten sich ihm
damit natürlich aus.«
»Erpressung!«, rufe ich.
»Durchaus eine Möglichkeit. Wird derzeit geprüft.«
»Sein Fachgebiet?«
»Quer durchs Gemüsebeet, aber vornehmlich im
sozialwissenschaftlichen Bereich.«
Laberfächer, denke ich, schon weniger beeindruckt und frage: »Woran
hat er denn als Letztes gearbeitet?«
Marcel Langer blickt auf einen Zettel und liest vor: » Der Faltenwurf christlicher Marienstatuen im Wandel der Zeiten und
Kulturen. Die Arbeit davor war ein wenig …«
»Brisanter?«, unterbreche ich ihn, stelle die Tasse ab und fahre den
Faltenwurf einer sehr bunt bemalten Marienstatuette auf dem Buffet nach. Toll,
über was man alles Doktorarbeiten schreiben kann.
»In der Tat. Profitorientierte Fluchthilfe an der
belgischen Grenze im Zweiten Weltkrieg. «
»Sehr lange her«, bemerke ich, wenig interessiert.
»Mit durchaus aktuellen Auswirkungen. So manche Leute haben
jüdischen Flüchtlingen ihr ganzes Vermögen abgenommen, um sie über die Grenze
zu bringen. Und nach dem Krieg haben sie sich dann auf ihren neu erworbenen
Grundstücken als Widerstandskämpfer feiern lassen. Ja, solche Herrschaften gab
es.«
»Hier auf der Kehr?«, frage ich und starre auf das Testament meines
Erzeugers. Ein solches Erbe will ich nicht haben.
Langer hebt die Schultern. »Möglich.«
Er steht auf und sieht mich traurig an.
»Linus hat Sie erkannt. Da bin ich mir ganz sicher.«
Würde er denn nie aufgeben? Wütend starre ich auf den Hund, der
sofort auf den frei gewordenen Sessel gesprungen ist und sich dort behaglich
niederlässt.
»Er hat eben meine Gene gerochen!«, blaffe ich.
»Frau Klein …« Er greift sich an den Hals.
»Nicht kratzen!«, sage ich schnell, »davon wird der Ausschlag nur
schlimmer. Ziehen Sie sich lieber wieder Ihr ungebügeltes Hemd mit dem weichen
Kragen an.«
»Und Sie ziehen am besten hier ein«, sagt er unvermittelt.
»Ich soll in diesem versifften Geisterhaus wohnen?«
»Bis der Fall geklärt ist, müssen Sie sich uns zur Verfügung halten.
Sie können auch weiter im Hotel bleiben. Dann veranlasse ich eben die
Einschläferung von Linus.«
Netter Versuch. Wenn ich zulasse, dass meinetwegen ein Wesen getötet
würde, käme ich einem möglichen Richter als Mörderin meines Bruders noch
glaubhafter vor. Ich habe keine Wahl.
»Darf ich mich wenigstens frei bewegen?«, frage ich und deute zum
Fenster hin. »Die Straße ist schon Deutschland. Da bin ich doch außerhalb Ihres
offiziellen Einzugsbereichs.«
»Stimmt, aber im Grenzgebiet kann man eine Ausnahme machen«, sagt er
müde. »Wir in der DG arbeiten
eng mit den deutschen Kollegen zusammen.«
»DG?«
»So heißt die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens. Habe ich Ihnen
doch gestern schon gesagt.«
»Deutsche Belgier?«
»Um Himmels willen, Frau Klein, so etwas dürfen Sie nicht einmal
denken, geschweige denn laut aussprechen!«
»Was sind Sie denn dann, Flame oder Wallone?«
Er seufzt tief und bringt etwas gequetscht hervor: »Die DG gehört zur Wallonie. Aber
wir haben einen eigenen Ministerpräsidenten und drei Minister.«
»In Brüssel?«
»In Eupen«, antwortet er, steigt in seinen Jeep ein und ruft noch:
»Im Gegensatz zum Rest der Wallonie und zur Bundesrepublik stehen wir wirtschaftlich bestens da. So gut wie keine
Arbeitslosen.«
Aus Rücksicht auf den Stolz einer kleinen Minderheit in einem
kleinen Land verkneife ich mir, den bekanntesten Satz aus allen Asterixheften
zu zitieren. Ich lasse den ersten DGler meines Lebens ziehen, betrachte voller Misstrauen den ersten
Hund, dem ich das Leben gerettet habe, und mache meinen ersten Rundgang durch
das erste Haus, das mir gehört. Ganz schön viele Anfänge für eine Frau, die
gerade alles verloren hat. Wozu vielleicht bald auch noch die Freiheit gehört.
Wenn diese Frau Mertes bei ihrer belastenden Aussage bleibt. Ich werde mir die
Putzfrau sehr bald vorknöpfen müssen. Mertes. Vielleicht jene Fine Mertes, zu der meine Großmutter gezogen ist?
Ein seltsames Haus. Alles andere als gemütlich. In der
Mitte des kleinen fensterlosen Raums direkt neben dem Wohnzimmer steht ein
Monitor auf einem modernen Glasschreibtisch, um den sich rundherum deckenhohe
Bücherregale beängstigend neigen. Den PC dazu hat die Polizei mitgenommen. Wie mein Bruder in dieser
Abstellkammer kreativ hatte arbeiten können, ist mir ein Rätsel.
Ich hätte mir dafür lieber
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