Einkehr zum toedlichen Frieden
wieder auf und bleibt wie versteinert
stehen.
»Was ist denn da los?«, ruft er und deutet mit ausgestrecktem Arm
aus dem Fenster.
»Wo?«, frage ich, während ich versuche, mit einem viel zu stumpfen
Messer von dem steinharten, herrlich reifen Stück Gouda dünne Bröckchen für die
Ingwermarmelade auf meinem Brötchen abzuschaben. Sollte ich doch länger
hierbleiben, bräuchte ich eine Reihe neuer Küchen-Utensilien.
»Die Polizei ist bei Mertes. Die Kollegen aus Schleiden. Irgendwas
muss da drüben passiert sein. Ich geh mal rüber und schau nach.«
Rasch stecke ich mir einen Schnipsel Käse in den Mund und folge ihm
über die Straße. Vor dem Haus steht ein rotes Cabrio. Woran erinnert mich das
nur?
Drinnen finden wir zwei deutsche Polizisten und eine völlig
aufgelöste Fine Mertes vor. Sie sitzt auf dem Sofa im Wohnzimmer, flankiert von
Gudrun und einem mir unbekannten Mann, dessen modisches Styling von knallgrünen
Lederschuhen unterstrichen wird. Androgyne fein ziselierte Gesichtszüge, die
italienische Renaissancemaler inspiriert und alle Modeschöpfer, die ich kannte,
zu Elogen hingerissen hätten. Kurzum, mal wieder ein schöner Mann, der für die
Frauenwelt unverkennbar verloren ist.
»Alf ist tot«, sagt Gudrun leise, als wir eintreten. »Auch ermordet
worden. Erschlagen.«
»Hätte ich ihn doch nicht allein jehen lassen!«, jammert Fine und
schlägt sich auf die Wangen.
»Ruhig, Mutter«, sagt der grün beschuhte Mann beschwichtigend und
ergreift ihre Hände, »vielleicht hat das wenigstens dir das Leben gerettet.«
Um sechs Uhr morgens ist Alf Mertes im Losheimer Sägewerk mit
eingeschlagenem Schädel aufgefunden worden. Mit dem Gesicht nach unten im
Sägemehl.
»Blut und Sägemehl, wie furchtbar das stinkt«, flüstert einer der
Polizisten.
»Direkt gegenüber dem Hotel Balter«, setzt Marcel Langer für mich
hinzu. Also etwa hundert Meter von jener Stelle entfernt, an der meinen Bruder
das gleiche Schicksal ereilt hat. Das kann doch kein Zufall sein!
Das denken die drei Polizisten offensichtlich auch. Sie ziehen sich
zur Beratung in den Flur zurück.
»Jeder von uns hat in den letzten Tagen Familie verloren«, sagt Gudrun
in die plötzlich entstandene Stille hinein. »Ich glaube auch nicht mehr, dass
mein Vater nur ertrunken ist.«
Der Schöne nickt. »Da draußen läuft ein Mörder frei rum. Oder eine
Mörderin«, sagt er und sieht mich eindringlich an.
»Katja Klein, Hein Mertes«, holt Gudrun die Vorstellung eilig nach.
»Mein Beileid.« Ich reiche ihm meine Hand.
»Auch so«, erwidert er kurz angebunden, übersieht meine angebotene
Hand und streichelt mit seiner sorgfältig manikürten weiter die zittrigen
Finger seiner Mutter. Ganz klar, er hält mich für einen unerwünschten
Eindringling, vielleicht sogar für eine Mörderin.
»Wann habt ihr es denn erfahren?«, frage ich.
»Als ich heute zum Melken kam, war der Alf nicht da«, berichtet
Gudrun. »Da habe ich die Fine geweckt, damit sie mir hilft.«
Die war zunächst nicht sonderlich beunruhigt, sondern glaubte, Alf
hätte die Nacht bei einem Kartenbruder in Losheim verbracht. Jeden Sonntagabend
fahre er zum Karten dorthin, erläutert Gudrun. Aber gestern habe er
beschlossen, die drei Kilometer zu laufen.
»Ich denke, der Eifeler geht nicht zu Fuß?«, setze ich mein neu
erworbenes Wissen ein.
»Probelauf mit der neuen Prothese, sagt meine Mutter.« Hein Mertes
übernimmt das Wort, ohne mich anzusehen. »Er ist die Höckerlinie
entlanggegangen, aber nur bis zum Sägewerk gekommen.«
»Das wussten wir aber nicht, als ich heute Morgen mit der Fine in
den Stall ging«, wirft Gudrun ein.
»Und ich habe noch so über ihn jeschimpft!«, jammert Fine, »dat ich
trotz meine Migräne melken muss, weil er sich mal wieder hat volllaufen lassen!
Weil seine Kumpels zu besoffen waren, für ihn heimzufahren! Dabei sind die doch
sonst nicht so jenau. Saufen wie die Löcher, und wer ein Auto hat, der benutzt
es auch. Und dann verpennt er auch noch. Und lässt mich mit die vielen Kühe und
meine Migräne allein! Ich habe ihn richtig verflucht, na so was!
Ojottojottojott!«
»Der Herr wird dir verzeihen«, beruhigt Hein seine Mutter. Sie setzt
sich auf und streicht sich das gelöste nass geweinte Grauhaar aus dem Gesicht.
»Ruf den Herrn Pfarrer an. Ich muss zum Beichten!«
»Du legst dich jetzt erst mal hin, Mutter«, sagt der Sohn und hilft
der Frau, die gestern mein Haus so emsig geputzt hat, mit anmutigen Bewegungen
aus der
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