Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einkehr zum toedlichen Frieden

Einkehr zum toedlichen Frieden

Titel: Einkehr zum toedlichen Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
Vom Netzwerk:
und Hein haben
sich verbündet, um den jeweils ungeliebten Vater umzubringen. Aber dann hätten
sie sich nicht gegenseitig entlastet, sondern jeder hätte sich für die
entsprechende Tatzeit ein hieb- und stichfestes Alibi zurechtgelegt. Wenn ich
Langer diese These unterbreite, wird er garantiert fragen, wie mein Bruder in
diese Serie hineinpasst. Irgendwie, überlege ich. Vielleicht hat ihn Gudrun
erschlagen, weil er sie abserviert hat? Hat er das denn? Es fällt sicherlich
nicht nur mir schwer, Hein als brutalen Totschläger zu sehen. Die Sache sähe
anders aus, wäre mein Bruder von einer silbernen Krawattennadel durchpiekst,
Arndt in einer Parfümlache versenkt und Alf Mertes in der häuslichen Badewanne
durch ein Epiliergerät elektrifiziert worden …
    Dennoch, irgendetwas verbindet Gudrun und Hein, etwas, das sie nicht
preisgeben wollen, da bin ich mir ganz sicher.
    Ich ergreife Linus am Halsband.
    »Komm, Dicker, wir gehen raus.«
    Ich will mir den letzten Weg von Alf Mertes ansehen. Linus werde ich
die ganze Zeit an der Leine halten und auf jeden hetzen, der mir zu nahe kommt.
Den Gedanken, ein Küchenmesser einzustecken, verwerfe ich. Wahrscheinlich würde
ich nur über irgendeine Wurzel stolpern und es mir selbst ins Bein rammen.
    Meine Jeans rutscht. Zum ersten Mal in meinem Leben brauche ich
einen Gürtel. Da ich aus verständlichen Gründen weit fallende Klamotten
bevorzuge, besitze ich so etwas nicht. Aber ich habe eine Auswahl von
Ledergürteln in Gerds Schrankschublade gesehen.
    Ich lasse Linus los. Im Schlafzimmer ziehe ich die ganze Schublade
heraus und kippe sie um. Mein Blick fällt auf ein Gerät, das sich bei näherer
Betrachtung als Elektroschocker herausstellt. Ich teste ihn. Er sprüht Funken.
Gut. Falls Linus den potenziellen Angreifer besser als mich kennen und sein
Vorhaben billigen sollte, habe ich zumindest eine Waffe. Nur wohin damit?
Einfach die Schlaufe übers Handgelenk ziehen und das Gerät sichtbar
herumtragen. In der großen Politik wirkt die Strategie der Abschreckung ja
auch.
    Ich wähle einen passenden Gürtel aus und verstaue das Handy in
meiner Hosentasche. Wenn mir Marcel Langer Neuigkeiten mitteilen will, muss ich
erreichbar sein. Und ihn erreichen können, falls mich jemand in einen Bunker
schubsen will.
    Ich fühle mich unangreifbar, als ich mit Linus und Elektroschocker
Belgien verlasse und die Landstraße überquere.
    Wo genau verläuft nun die heute mehrfach erwähnte Höckerlinie, die
bis zu meinem ehemaligen Hotel führt?
    Vermutlich parallel zur Bundesstraße, die Deutschland von Belgien
trennt. Vor dem Wald auf der Mitte zwischen Gudruns Haus und dem ehemaligen
Zollhaus fallen mir auf der rechten Seite zwei Bauwerke auf. Ein offensichtlich
leer stehendes Containergebäude, das der Aufschrift nach den
Kampfmittelräumdienst beherbergt, und daneben eine Art Hobbit-Domizil, ein von
Gras völlig überwucherter Hügel mit dunkler Steinmauer und Tür. Kein Bunker,
wie ich beim Näherkommen feststelle, sondern ein Hochwasserbehälter aus dem Jahr 1965. Die Adresse ist auch angegeben: Auf dem
Gericht . Hier, fern jeder richtigen Besiedelung, war früher wohl eher
Recht – oder was man dafür hielt – ausgeübt als gesprochen worden. Wie viele
Gehenkte mochten auf diesem Hügel an Galgen geschaukelt haben? Auf meinen Armen
richten sich die Härchen auf, und ich schlage rasch den unbefestigten Weg links
ein. Linus zieht an seiner Leine, aber ich lasse ihn nicht frei. Die Angst
sitzt tief. Schließlich kann jetzt jederzeit jemand hinter einem Baum
hervorspringen und mich niederschlagen. Ich sollte lieber umkehren. Angsthase,
schelte ich mich, du bist doch kein kleines Kind mehr, das Angst vorm schwarzen
Mann im Wald hat! Tapfer marschiere ich weiter.
    Ich komme an einem Holzlager vorbei, an einer winzigen Lichtung, in
der irgendetwas angebaut wird, und stoße dann tatsächlich auf einen Weg, der
parallel zur Bundesstraße nach Nordwesten führt. Ein finsterer Pfad, von hohen
Bäumen gesäumt, die keinen Strahl der Sommersonne durchlassen. Ein Kreuzweg . Auch so ein unheilschwangeres, von Aberglauben
besetztes Wort. Im Spreewald hat mir mal eine alte Sorbin etwas von Kreuzwegen
erzählt, an denen man zum eigenen Schutz einen Pfennig vergraben und das
Vaterunser rückwärts aufsagen sollte. Ich habe weder einen Pfennig dabei, noch
könnte ich das Vaterunser auch nur vorwärts herunterbeten.
    Was jetzt vielleicht ganz sinnvoll wäre. Denn es raschelt im
Unterholz. Geäst

Weitere Kostenlose Bücher