Einkehr zum toedlichen Frieden
mich einfach stehen. Während ich überlegte, wieder im
faradayschen Käfig meines Autos Zuflucht zu suchen, rannten plötzlich Gudrun
und Hein völlig durchnässt durch die Tür.
Wie ich später erfuhr, hatten sie gemeinsam versucht, die trockenen
Kühe – also diejenigen, die trächtig oder zu alt waren und nicht wie die
anderen zum Melken hineingetrieben werden mussten – noch vor dem Gewitter in
den Stall zu jagen.
Aber ein Tier hatte sich am Fuß eines Windrades niedergelegt und war
zum Aufstehen nicht zu bewegen gewesen. Verwundert hatte ich nachgefragt, wie
hoch denn der Metallanteil der Kuh sei. Ich verstünde die Angst nicht, dass der
Blitz ausgerechnet jetzt in diese Kuh einschlagen sollte, da sie quasi neben
einem riesigen Blitzableiter ruhe.
»Eben!«, wurde mir entgegengerufen. Der Blitz werde durch das
Windrad in den Boden geleitet, und dieser Erdstrom könne das Rindvieh tödlich
treffen. Solch ein indirekter Blitzschlag dringe durch die Vorderbeine,
durchfließe das gesamte Tier, trete durch die Hinterbeine wieder aus und
hinterlasse schließlich eine tote Kuh.
Hein regte sich in meinem Haus immer noch darüber auf, dass Gudrun
darauf bestanden hatte, die Kuh zu retten.
»Wir hätten beide draufgehen können!«, schimpfte er, während er sich
mit meinem Küchenhandtuch die Haare abtrocknete. »Wo schon klar war, dass wir
das Viech nicht wegkriegen! Dann stirbt es eben!«
Genau das hatte er ihr auf der Wiese auch gesagt. Gudrun hatte
geheult, dass sie noch einen Tod nicht verkraften könne. Und dass kein
vernünftiger Bauer eine gebärende Kuh auf der Wiese liegen lasse.
»Aber erstens bin ich kein vernünftiger Bauer, und zweitens hat mich
zum Glück meine Mutter dann angerufen und ganz aufgeregt berichtet, bei der
Katja müsse auch wieder etwas Schlimmes geschehen sein, denn die Polizei sei
trotz des Sturms mit Blaulicht herbeigeeilt. Da haben wir die Kuh liegen lassen.«
»Zum Glück«, wiederholte ich trocken.
»Aber es war wohl Gott sei Dank doch nur ein Einbruch«, stellte Hein
fest. »Wir waren ganz geschockt, dachten, jetzt hat es dich auch noch
erwischt!«
Vielleicht hätte ich dankbarer sein sollen, dass sich diese beiden
Menschen, die ich gerade erst kennengelernt hatte, mehr um mein Wohlergehen
sorgten als um das einer Kuh mit einem nennenswerten Preis, aber das konnte ich
zu diesem Zeitpunkt nicht recht würdigen. Zumal Marcel Langer hinzugesetzt
hatte, auf der Kehr habe es noch nie einen Einbruch gegeben, weshalb man diesen
unbedingt in Verbindung zu den Mordfällen bringen müsse.
Viel mehr hatte er gestern Nachmittag nicht von sich gegeben und mir
auch keinen individuellen Personenschutz für die Nacht angeboten. Nicht einmal,
als der Strom plötzlich ausfiel und sich niemand erinnern konnte, in meinem
Haus Kerzen gesehen zu haben. Obwohl sich das Gewitter inzwischen verzogen
hatte und es noch hell war, erfuhr ich, dass es durchaus mehrere Stunden dauern
könne, ehe der Strom zurückkehrte.
»Drüben in NRW
brennt Licht«, brummte Langer und wies vor der Haustür auf das von Innen
erleuchtete weiße Kirchlein. »Vielleicht besser, Sie schlafen heute bei Gudrun,
Frau Klein. Aber warten Sie noch auf den Schlosser aus Büllingen, für ihr
Schloss zu reparieren. Er müsste gleich kommen.«
Und dann stieg er ohne ein weiteres Wort zu seinem Kollegen in den
Jeep und fuhr davon. Ich sandte einen stummen Fluch hinter: Möge dich ein
weißer Plastiktisch treffen!
Seine Wortkargheit hatte mich weitaus weniger beunruhigt als die
Blicke, die er mir zugeworfen hatte. Als sei er der Mann, der zu viel wusste.
Das Zuvielwissen war dem Herrn in dem gleichnamigen Hitchcock mit Doris Day gar
nicht gut bekommen. Aber was wusste Langer wirklich? Meine Hoffnung, von ihm
Einzelheiten über die Obduktion meines Bruders zu erfahren, hatte sich
jedenfalls zerschlagen.
Ich kam mir verloren vor, regelrecht verraten, zumal er meine zuvor
zwar nur gemurmelte, aber dennoch für ihn deutlich vernehmbare Einladung »Habe
frischen Single Islay Malt« völlig ignoriert hatte. Gudruns freudige Reaktion
ersparte mir jeglichen Kommentar.
»Ja bitte, Katja, bleib heute Nacht bei mir!«
Nachdem der angekündigte Schlosser eingetroffen war und sein Werk
verrichtet hatte, blickte ich zum Kirchlein hinüber, in dem immer noch Licht
brannte.
»Wird da eine Messe abgehalten?«, fragte ich Gudrun.
»Wo denkst du hin!«, erwiderte sie. »Da kommt nur einmal im Monat
ein Pfarrer, und der war letzte Woche da. Aber
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