Einkehr zum toedlichen Frieden
Hund. Mein Bruder hielt ihn am
Halsband, als er die Tür öffnete. Ohne sich überhaupt anzuhören, wer ich war,
drohte er mir an, das Vieh auf mich zu hetzen, wenn ich nicht augenblicklich
auf Nimmerwiedersehen verschwand.
»Warum so feindselig?«, fragte ich Gerd Christensen und trat
angesichts eines grimmig dreinblickenden kohlschwarzen Höllenhunds ein paar
Schritte zurück. »Sie kennen mich doch gar nicht!«
»Ich weiß genau, wer Sie sind und was Sie wollen«, fuhr er fort.
»Fahren Sie zurück nach Berlin! Lassen Sie mich in Ruhe und sich hier nie
wieder blicken.«
Damit knallte er mir die Tür vor der Nase zu.
Nun, ich war nicht die weite Strecke gefahren, um mich derart
abfertigen zu lassen.
»Dann sehen wir uns eben vor Gericht wieder!«, schrie ich durch die
geschlossene Tür. Das war der reine Bluff. Aber mich wurmte seine Behauptung,
alles über mich und mein Anliegen wissen zu wollen. Ich war die Journalistin
und sollte alles über andere wissen. Nicht umgekehrt.
Also wollte ich ihn ärgern und beunruhigen oder zumindest neugierig
machen. Der magere Mann mit den langen speckigen Haaren, der ungesunden
Gesichtshaut und dem Zerberus an seiner Seite wirkte wie jemand, der mit
staatlichen Autoritäten nicht unbedingt etwas zu tun haben wollte.
Er reagierte nicht.
»Ich weiß auch alles über Sie!«, fuhr ich meine Retourkutsche gegen
die geschlossene Tür. »Ich habe Unterlagen mit sehr unerquicklichen
Informationen bei mir.«
Letzteres war nicht einmal gelogen. In den Briefen hatte sich sein
Vater oft über ihn beschwert. Faul sei er gewesen, verantwortungslos, ein
Sitzenbleiber und ein schlechter Verlierer bei Kinderspielen. Der Klage über
Gerds ungehobeltes Auftreten und sein nachlässiges Äußeres konnte ich mich
anschließen, auch wenn nichts davon justiziabel war. Wenn ich ihm aber einen
Brief mit der Handschrift seines Vaters unter die Nase hielt, würde er
zumindest neugierig werden und mit mir reden. Ich vertraute darauf, dass wir
dann vielleicht von vorn anfangen und zivilisiert miteinander umgehen könnten.
Tatsächlich ging die Tür wieder auf.
»Was für Unterlagen?«
»Augenblick«, erwiderte ich, öffnete die Fahrertür meines Wagens und
griff nach der Jutetasche, die neben der angebissenen Brühwurst auf dem
Beifahrersitz lag. Der Stofftasche war die Nachbarschaft zu dem Überbleibsel
aus der Autobahnraststätte nicht gut bekommen. Also warf ich sie auf den
fettfreien Rücksitz, nachdem ich ihr einen Brief entnommen hatte.
Gerd Christensen hielt mir die ausgestreckte Hand hin.
»Nicht so schnell«, sagte ich, winkte mit dem Papier und trat einen
Schritt auf ihn zu.
In diesem Augenblick riss sich der Hund los, sprang in meine Karre,
schnappte sich den Rest der Brühwurst, verschlang sie und blieb im Wagen, als
wartete er auf Nachtisch.
»Rufen Sie Ihren Köter zurück«, schrie ich ihn genauso an wie einen
Tag später Marcel Langer in genau der gleichen Lage. Hastig suchte ich an der
Beifahrerseite Schutz. Erschreckt durch meine schnelle Bewegung, sprang der
Hund heraus. Schnell stieg ich ein, manövrierte mich mühsam hinter das Lenkrad
und knallte die Tür zu.
Da erst merkte ich, dass ich vor lauter Panik den Brief fast
zerknüllt hatte. Das brachte mich zur Besinnung. Was wollte ich hier
eigentlich? Und was hatte ich erwartet? Dass der unfreundliche Mensch, den ich
aus Berlin angerufen hatte, die verlorene Schwester an sein Herz drücken und
ihr ein neues Zuhause anbieten würde?
Das war doch albern. Der Typ hatte Angst, dass ich Forderungen
stellen, sein Leben durcheinanderbringen und ihn möglicherweise noch ärmer
machen wollte, als er ohnehin schon aussah.
Er näherte sich meinem Auto. Ich ließ das Fenster nur so weit
runter, dass der Hund, der an der Seite hochsprang, keine Pfote dazwischenlegen
konnte.
Gerd trat ganz dicht heran.
»Sie sind Katja Klein«, zischte er ins Auto, »eine abgehalfterte
Berliner Mode journalistin …« Da er nicht wusste, dass
mich die besondere Betonung der ersten beiden Silben meiner Berufsbezeichnung
nicht beleidigen konnte, verbuchte ich dies als einen Punkt für mich. »…
unehelich geboren, selbst auch nie verheiratet oder liiert …« Ein weiterer
halber Punkt für mich. Mein langjähriger verheirateter Liebhaber hätte Google
was gehustet, hätten entsprechende Seiten ihn mit mir in Verbindung gebracht.
»… die gleich nach ihrer Kündigung wegen einer Fliegerbombe ihre
Wohnung verlassen musste …«
Ein Punkt für
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