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Einkehr zum toedlichen Frieden

Einkehr zum toedlichen Frieden

Titel: Einkehr zum toedlichen Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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gut. Und riecht gut.« Sie hält den Löffel vor die Nase,
als wollte sie die Ravioli darauf inhalieren. Ohne zu essen, legt sie den Löffel
wieder hin und sieht mich an. Schnell stelle ich den Teller auf den Nachttisch.
    »Du bist von den Kleins von dem Laden in Halzech?«
    »Ja.«
    Sie beugt das Vogelköpfchen mit dem schütteren Haar vor und bedeutet
mir mit dem Zeigefinger, nahe an sie heranzurücken.
    »Hüte dich vor dem Werner!«, krächzt sie mir ins Ohr.
    »Aber der Adolf …«, insistiere ich.
    »Gib mir noch was!«
    Als ich ihr den gefüllten Löffel reiche, komme ich mir wie ein
Ermittler vor, der dem Junkie dosiert Stoff zuführt, um an Informationen zu gelangen.
Ein sehr mühsames Unterfangen, aber ich arbeite mich langsam vor. Entreiße den
Tiefen ihrer Erinnerung Bruchstücke, die sich zu einem immer deutlicheren Bild
zusammenfügen. Mein Großvater, Sohn eines Hamburger Munitionsarbeiters auf der
Kehr, ist hier geboren worden und hat die Tochter eines Hallschlager
Lebensmittelhändlers geheiratet. Unter den Einheimischen galt er sein Leben
lang als Fremder, als hanseatischer Kaufmann, dem Gespür für die Führung eines
Lebensmittelladens in die Wiege gelegt wurde.
    Jupps Mutter nennt mich bei meinem Namen, hält mich aber für Anna,
meine eigene Mutter, und rät mir, den jungen Adolf zu heiraten, ehe ihn mir
Fine Schmitz wegschnappe.
    »Für den Laden deines Vaters zu retten«, sagt sie nach der fünften
Ravioli.
    »Warum?«, frage ich. »Wenn er doch so ein guter Kaufmann ist?«
    Sie bedeutet mir, den Teller wieder wegzustellen. Als sei ich schwer
von Begriff erklärt sie abfällig: »Hamburger können handeln und rechnen, aber
nicht tuppen. Dumm von deinem Vater.« Und damit schläft sie über den restlichen
Ravioli ein. Tuppen? Mir fällt nicht ein, wo ich das Wort zuvor schon einmal
gehört habe.
    Ich schleiche die Treppe hinunter und übergebe die Staffel der
Fürsorge an die Dame vom Pflegedienst, die ich eine Viertelstunde zuvor in das
Horrorkabinett des Wohnzimmers geführt habe.
    Ob ich den Film in Belgien entwickeln lassen kann? Ich
beschließe, nach St. Vith zu fahren, um ihn Marcel Langer zu übergeben. Er wird
sicherlich innerhalb der SOKO
Möglichkeiten finden, schnell an die Fotos zu kommen.
    Tuppen. Wann und bei welcher Gelegenheit ist dieses Wort in den
vergangenen Tagen schon einmal aufgekommen?
    In der Krippana! Das fällt mir ein, als ich beim Ardenner Cultur
Boulevard aus Losheim kommend rechts in Richtung St. Vith abbiege, aber den
Zusammenhang weiß ich nicht mehr. Das Wort betuppen drängt sich auf, jemanden beschwindeln, übers Ohr hauen. Vielleicht das
Finanzamt? Und weshalb sollten Hanseaten dazu nicht fähig sein?
    Ich gehe im Geist noch einmal meinen Krippana-Besuch mit Hein durch.
Wie der Würfel bei den mechanischen Puppen in der Kneipenszene fällt bei mir
endlich der Groschen: Puppen, Tuppen. Ein in der deutschen Eifel beliebtes
Kartenspiel, hat Hein gesagt.
    Hat mein Großvater den Familienbetrieb etwa verzockt?
    »Wohl kaum«, wehrt Marcel Langer ab, als ich ihn in seinem
Büro in St. Vith mit dieser plötzlichen Erkenntnis konfrontiere. »Das wäre wie
ein Lauffeuer durch einen so kleinen Ort wie Hallschlag gegangen. Davon würde
man jetzt noch reden.«
    »Jupps Mutter …«, setze ich an.
    »… ist eine demente alte Frau«, unterbricht mich Langer, »der im
Kopf einiges durcheinandergerät.«
    Ich weigere mich, meine Ravioli-Divination einfach damit abzutun,
und bitte ihn, doch nachzuprüfen, in wessen Hände der Laden nach dem Tod meines
Großvaters übergegangen sei.
    Dazu sei er als belgischer Beamter nicht befugt, erläutert er, zumal
diese Information wohl kaum mit den aktuellen Morden in Zusammenhang stehe.
    »Ich begreife ja, dass Sie sich mit Ihrer Familiengeschichte
beschäftigen«, sagt er, »aber wir haben jetzt ganz andere Sorgen.«
    Ich lasse nicht locker.
    »Mutter Agnes hat in diesem Zusammenhang nur zwei Namen erwähnt,
nämlich Werner und Alf. Beide Männer sind jetzt tot. Halten Sie das für
Zufall?«
    »Nicht unbedingt«, erwidert er, »die ganze Gegend redet doch derzeit
über nichts anderes als über den dreifachen Mord. Die alte Frau könnte was
aufgeschnappt und in ihrer Verwirrtheit mit Versatzstücken von früher verbunden
haben.«
    »In ihrem einsamen Bett?«, frage ich ungläubig zurück.
    »Hören Sie«, sagt Marcel Langer und sieht plötzlich sehr müde aus.
»Es muss nichts Dramatisches dahinterstecken, wenn ein Laden pleite

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